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Selbstverständlichkeit voranzuschicken, die nur noch angedeutet
zu werden braucht. Es ist dies der Umstand, dass alles das,
was die Redaktoren in den verschiedenen Ausfertigungen der
Verträge, sei es in der Liste der rechtshilfepflichtigen Reate, sei
es bezüglich der Prozedur, sei es hinsichtlich irgend eines ande-
ren Punktes, einander gegenübergestellt haben, als reziprok an-
gesehen werden muss. Immer bleibt es möglich, dass eine Nach-
prüfung zu dem Ergebnis käme, in dieser oder jener Position
habe sich den Anforderungen des Gegenrechts besser genügen
lassen, hier oder dort habe man aus dem Gesichtspunkt der In-
vizinität die eingestellten Verbrechen abweichend gruppieren oder
durch andere ersetzen sollen. Derartige Untersuchungen bleiben
für die Beurteilung der angewandten (Jegenseitigkeit belanglos.
Das gilt ganz allgemein bis auf die wenigen Fälle, in denen das
Vertragsrecht erkennbar absichtlich die Reziprozität verleugnet
hat und deshalb selbst seine Bestimmungen nicht als reziprok
ansehen kann !?*. Diese Auffassung führt nicht dazu, dass ein
Tatbestand nur einseitig auslieferungspflichtig würde, denn davor
schützt — wieder bis auf einzelne Ausnahmefälle — die Klausel
beiderseitiger Strafbarkeit. Die in den Kauf zu nehmenden Un-
gleichheiten liegen dagegen vor allem im Strafmass. Auch wo
die im Katalog erscheinenden Delikte nach den Strafgesetzbüchern
der beiden Staaten darin eine verschiedene Beurteilung finden,
wo etwa das eine Strafrecht das eingestellte Verbrechen mit
Zuchthaus, das andere sein Paralleldelikt nur mit Gefängnis be-
straft!25, auch dort ist jedes Bemühen, der ideellen Reziprozität
näher zu kommen, unfruchtbar. Der Richter, der den Grund-
satz der Gegenseitigkeit als für das deutsche Recht massgebend
kennt, steht vor einem Faktum, einem fait accompli des Rechts !?*,
122 Siehe oben Ziffer 30.
25 Siehe BEAUCHET p. 130 et suiv.
’*® In Belgien gälte das nicht, siehe oben S. 14; im Deutschen Reich
aber wohl.