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Jeder Auslieferungsvertrag wird im Deutschen Reich über den
Gesetzgebungsweg geführt; er hat Rechtsbeständigkeit gewonnen,
ist geltendes Recht'!?’. Man mag kritisieren, de jure constituendo
127 Das ist der Standpunkt der deutschen Wissenschaft. Vgl. Bere-
BOHM, der S. 81 die Auslieferungskonventionen zu den Verträgen rechnet,
die Rechtssätze enthalten; v. MArTıTz, Rechtshilfe Bd. 1 S. 242; Bd. 2
S. 760; an letzterer Stelle sagt er: „Für uns Deutsche schafft ein in Voll-
ziehung gesetzter Auslieferungsvertrag des Reiches oder eines Eänzelstaates
Rechtsnormen, aber er ist, auch wenn er der parlamentarischen Genehmi-
gung unterliegt, kein Gesetz im konstitutionellen Sinne.“ Auch diesen
weitertragenden Charakter gibt den deutschen Auslieferungskonventionen
MÖLLER S. 7, 8: „Wir haben hier den... Fall, dass Staatsverträge sich
innerstaatlich als Gesetze darstellen können bei den Auslieferungsverträgen
des Deutschen Reiches praktisch vor uns“ (8.8). Ebenso JoHn in v. HOLTZEN-
DORFF, Strafrecht Bd. 3 S. 44 Anm. 3; DELIUS in der Zeitschrift für inter-
nationales Privat- und Öffentliches Recht Bd. 2 S. 5: „In konstanter Judi-
katur ist sowohl vom vormaligen preussischen Obertribunal als auch vom
Reichsgericht angenommen worden, dass Auslieferungsverträgen die Kraft
von Gesetzen beizulegen sei.“ Siehe dazu METTGENBERG, Praxis des Reichs-
gerichts S. 405 fg.; DELIUS im Archiv für Strafrecht Bd. 39 S. 116 Anm. 9
und 10; Bd. 46 S. 24; in der Zeitschrift für internationales Privat- und
öffentliches Recht Bd. 1 S, 176; Auslieferungsrecht S. 11. Dass man die
Auslieferungskonventionen als Reichsgesetze ansieht, erscheint zutreffend,
lässt sich aber ohne Eingehen auf die Natur der internationalen Verträge
und damit die Grundanschauungen des internationalen Rechts nicht er-
schöpfend begründen. Siehe auch LaBann Bd. 2 S. 145 fg. und Kruc
S. 9, Für den Satz des Textes ist Widerspruch kaum zu erwarten, Eine
abweichende Anschauung vertritt die französische Wissenschaft. Von
BıLLoT (p. 303 et suiv.) bis BEAUCHET hält man, beherrscht von dem Sy-
stem der Teilung der Gewalten, jeden Auslieferungsvertrag für eine Ver-
einbarung der Exekutivorgane der beiden Staaten, der darum ein admini-
strativrer Akt bleibt, auch wenn er — was die Regel ist — dem Parlament
zur Genehmigung vorgelegt sein sollte. BEAUCHET sagt p. 280: „... dans
le cas, oü le traite d’extradition doit, pour ötre valable, &tre soumis & la
ratification du parlement, .. . cette ratification n’a pas pour efiet de trans-
former en lois les actes du pouvoir executif; elle ne modifie nullement leur
nature, et ne vise que la personne du chef de l’Etat, dont elle valide le
consentement.“ Vgl. ferner BEAUCHET p. 428 et suiv., wo sich die Judika-
tur der Cour de cassation besprochen findet, und p. 457 et suiv.; ausser-
den ZOGRAPHOS S. 261 fg.
Für die deutschen Kolonialauslieferungsverträge, mit denen das