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stimmungen nicht denkbar ist, und somit Ungleichheiten wiederum
unvermeidlich entstehen müssen. So hat man zwei Möglichkei-
ten, die geeignet sind, das Verhältnis der Kontrahenten in un-
gewünschter Weise zu beeinflussen, um so mehr, als sie regel-
mässig zusammentreffen werden und dann die Abweichung vom
Gleichgewichtspunkt vergrössern.
41. Als Ergebnis dieser Beobachtungen muss man hinnehmen,
dass man es in der Reziprozität trotz aller Betonung ihrer
Existenz mit etwas elastischem, veränderlichem zu tun hat, das
sich nur annähernd erfassen lässt. Man ist gezwungen, bei
ihrer Umschreibung den gleichen Ausgangspunkt wie das kon-
ventionelle Recht zu nehmen, sich also auf die Uebereinstimmung
der beurkundeten Formulierungen zu berufen. Absehen aber
muss man von der Gestaltung des Pflichtenverhältnisses, für das,
wie die Tatsachen beweisen, auch andere Umstände von Be-
deutung sind. Mit diesem Vorbehalt lässt sich etwa sagen: Die
Reziprozität im Auslieferungsrecht ist dasjenige System, das
die Beteiligten in gleichen Fällen zur Befrie-
digung gleicher strafrechtlicher Interessen
durch gleiche Rechtshilfehandlungen gegen ein-
ander verpflichtet. Vorerst sind die Rechtshilfe-
handlungen selbst gleichgeartet; Auslieferung steht gegen
Auslieferung, Beschlagnahme von Gegenständen gegen Beschlag-
nahme von Gegenständen, Mitteilung von Beweisstücken gegen
Mitteilung von Beweisstücken. Ferner ist eine Verpflichtung für
beide Teile nur in den gleichen Fällen gegeben; das bedeutet,
dass sie bei umgekehrter Sachlage von der Gegenseite zu erfül-
len wäre; diese Bedingung zu sichern, ist die Aufgabe der Klau-
sel beiderseitiger Strafbarkeit. Schliesslich sind die strafrecht-
lichen Interessen der Kontrahenten als gleichwertig gedacht,
indem man sie an der kriminellen Bedeutsamkeit der Ausliefe-
rungen und der sonstigen Rechtshilfehandlungen misst; und diese
Bedeutsamkeit selbst muss das Mass der strafrechtlichen Repres-