Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 25 (25)

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sie bedarf einer Richtschnur, soll sie zu praktischen, sicheren 
Ergebnissen führen. Die Richtschnur kann wiederum nur den 
Verträgen entnommen werden, und diese weisen in erster Linie 
auf ihren Grundgedanken, die Gegenseitigkeit, hin. So wird sie 
zum Leitsatz der Interpretation. Um diesem Zweck zu genügen, 
bedarf sie einer Umbildung. Man möchte formulieren: Als Pflicht 
eines Beteiligten kann aus einem Vertrage nur eine solche Rechts- 
hilfehandlung interpretiert werden, für die sich im umge- 
kehrten Falle dieselbe Rechtshilfehandlung 
von gleichem strafrechtlichen Interesse als 
Gegenverpflichtung des anderen Beteiligten 
nachweisen lässt. Das Interesse wird auch hier durch 
die kriminelle Bedeutsamkeit des zugrunde liegenden Verbrechens, 
die vor allem im Strafmass zum Ausdruck kommt, bestimmt. 
Mit absoluter Unbedingtheit gilt das freilich wiederum nicht. Auch 
bei der Auslegung ist es wahr und bleibt zu bedenken, dass der 
disparate Zuschnitt der Strafgesetzgebungen die Herausstellung 
vollkommen gleichwichtiger Rechtshilfehandlungen nicht ermög- 
licht. Aber die Kräfte, welche das Zünglein der Wage auf 
den Nullpunkt setzen möchten, haben hier Spielraum zur Betä- 
tigung; sie sind bei der Auslegung nicht mehr gebunden, son- 
dern müssen in Tätigkeit gesetzt werden und wirken. Die Re- 
ziprozität als die Tendenz zum Ausgleich strebt stets nach dem 
Gleichgewicht hin!, Als Mindergewicht auf einer Seite lässt 
sie höchstens das zu, was die Konventionen selbst erkennbar als 
der Gegenseitigkeit unschädlich erachteten. Man erhält so für sie 
  
140 GOTTLIEB HUFELAND, Lehrsätze des Naturrechts und der damit ver- 
bundenen Wissenschaften zu Vorlesungen (2. Aufl. Jena 1795) hehauptet 
S. 332 den naturrechtlichen Satz: „Bei Verträgen sonst gleicher Parteien 
muss das zweifelhafte so verstanden werden, dass beide Teile einander 
gleich bleiben.‘ Das ist nun freilich eine im positiven Recht unmögliche 
Forderung. Immerhin kennzeichnet sie das Ziel der Reziprozität, sie steckt 
die Linie ab, der man beiderseits möglichst nahe kommen möchte, wenn 
man auch weiss, dass man sie nie erreichen wird.
	        
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