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weniger ausdrucksvoller Weise den Gedanken zu variieren, den
das Institut de Droit International auf seiner Oxforder Tagung
1880 in These V dahin formulierte: „La condition de reciprocite,
en cette matiere, peut ötre commandee par la politique; elle n’est
pas exigee par la justice“ 1%. Man hat keine Veranlassung, dieser
These zu widersprechen, denn mit der Anerkennung einer mög-
licherweise politisch gegebenen Notwendigkeit, auf der Rezipro-
zität zu bestehen, wird sich die Staatenpraxis vollauf zufrieden
erklären und sich mit Genugtuung auf die Autorität des Insti-
tuts berufen, wie sie denn auch bisher bei der Regelung der
Rechtshilfebeziehungen konsequent von der Gegenseitigkeit als
der selbstverständlichen Grundlage ausgegangen ist. Soll man
aber den Ton auf den zweiten Satz der Formel legen, dass die
Reziprozität kein Erfordernis der justice sei, so muss man Ein-
spruch erheben gegen den Nachdruck, der ihm ein Uebergewicht
über das vorige Zugeständnis geben will. Dabei ist allerdings
vorausgesetzt, dass das Institut seinen Ausdruck justice nicht im
ethischen Sinne etwa einer christlichen Gerechtigkeit verstanden
hat, sondern einen Gegensatz zu der Politik, zum politischen
Prinzip herstellen wollte, den man im deutschen mit Rechtsprin-
zip wiedergeben kann. Wäre diese Annahme nicht richtig, so
schiede die These insoweit für die juristische Erörterung aus.
Im anderen Falle aber liegt in ihr eine Verkennung der Bedürf-
nisse des internationalen Verkehrs und der Rechte der Politik.
Es ist heute etwas gewohntes geworden, von Kriminalpolitik zu
sprechen und diese Politik dem Verbrechen und dem Verbrecher
gegenüber gebieterischen Einfluss auf die Gestaltung des Krimi-
nalrechts gewinnen zu sehen. Noch weniger sollte man sich
gleichen Vorstellungen im internationalen Recht verschliessen,
pflicht S. 65, 89; BERNER, Strafrecht S. 536 Anm. 3; HERBAUX p. 1044;
Prıns, science penale p. 69; BEAUCHET p. 25; LEBOUCQ p. 284, 285.
172 Siehe RoLIn p. 381; BEAUCHET p. 26; LAMMAScH, Auslieferungs-
pflicht S. 65.