Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 25 (25)

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Ungleichheiten und damit Missstimmung und Gefährdungen un- 
vermeidlich wären. Ist das aber richtig, dann ist dieser Vorzug 
des Gegenseitigkeitssystems gewichtig genug, manchen, ihm etwa 
anhaftenden Nachteil aufzuwiegen. 
49. Eine andere Frage ist es, ob die Auslieferungsgesetze 
zweckmässig die Reziprozitätsbedingung ausdrücklich aufnehmen 
sollen oder nicht. Bedeutet ihre Einfügung die rechtliche Bin- 
dung an ihren Gedanken, lässt die Nichteinfügung freie Hand 
und gestattet eine grössere Anpassung an die einzelnen Umstände. 
Dass man sich in beiden Fällen tatsächlich regelmässig an die 
Gegenseitigkeit halten würde, kann aller Erfahrung nach als ge- 
wiss bezeichnet werden. Im Auslieferungsrecht mehr noch, als 
in den übrigen internationalen Rechtsbeziehungen, in denen sie 
wohl erkannt, aber noch unergründet ist, hat sich die Rezipro- 
zität so fest eingewurzelt, dass ihre formelle Bestätigung und 
Gutheissung für die Zukunft kaum erforderlich erscheint. Man 
kann der Entwicklung freie Bahn lassen. Auch wenn ein deut- 
sches Auslieferungsgesetz, wie man hoffen darf, in 
nicht zu ferner Zeit die erwünschte einheitliche Regelung unseres 
Vertragssystems und vor allem die richterliche Kontrolle oder 
doch mindestens richterliche Gutachten über die Auslieferungs- 
bewilligungen herbeiführen soll, wird man die Aufnahme oder 
Nichtaufnahme der Reziprozitätsklausel nicht als fundamental 
betrachten dürfen. Der englische Extradition Act hat die ge- 
setzmässige Bindung an die Gegenseitigkeit vermieden, wohl in 
der richtigen Empfindung, dass die Festlegung auf ein zwar 
elastisches, aber zwingendes Prinzip im Einzelfalle hinderlich 
werden könne, und dass sich in den Verträgen für seine Beob- 
achtung hinreichend sorgen lasse. Die Politik wird es sicher 
vorziehen, ihre Reziprozitätsinteressen selbst zu wahren, statt die 
Möglichkeit zu erkaufen, sich gelegentlich hinter einem legisla- 
tiven Zwang verschanzen zu können, diesem dann aber auch un-
	        
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