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darauf beschränkt, ein Referat über den Inhalt der Schriften des Dubois
zu geben, sondern dass sie seine Ideen in Zusammenhang bringt mit den
politischen Zuständen, Vorstellungen, Streitigkeiten und spekulativen Rich-
tungen der zweiten Hälfte des Mittelalters. Der beherrschende Gedanke,
welcher sich durch alle Erörterungen Dupo1s’ hindurchzieht, ist die Unab-
hängigkeit Frankreichs und seines Königs von Kaiser und Papst und die
Herrschaft des Königs über die Kirche in allen weltlichen Angelegenheiten.
Das Verständnis seiner Schriften wird durch ihren Zusammenhang mit dem
Streit Philipps IV. mit Bonifazius VIII. erschlossen. DuBo1s war kein Theo-
retiker und noch viel weniger ein Systematiker des Staatsrechts, welcher
es durch neue Gedanken fortgebildet hat, sondern ein Publizist, welcher
den politischen Interessen des französischen Königs und den nationalen An-
sprüchen des französischen Volkes diente und ihnen eine wissenschaftliche
Rechtfertigung gab. Er war in dieser Beziehung ein Vorläufer BopDIns und
ein Geistesverwandter MACCHIAVELLIs, wenngleich beiden nicht gleich-
stehend.
Eine ganz eigenartige Stellung nimmt er aber in der Geschichte des
Völkerrechts ein, indem er — am Beginn des 14. Jahrhunderts! — den Ge-
danken an einen europäischen Staatenbund und an ein ständiges Schieds-
gericht zur Entscheidung völkerrechtlicher Streitigkeiten entwickelt. Frei-
lich wäre auch diese Einrichtung, wenn sie verwirklicht worden wäre, nach
den damaligen politischen Zuständen der europäischen Staaten vorzugsweise
für Frankreich von Vorteil gewesen und hätte Philipp IV. den machtvollsten
und zugleich gewalttätigsten Herrscher seiner Zeit, zum Schiedsrichter Eu-
ropas gemacht; der Staatenbund wäre die Form, die Vorherrschaft Frank-
reichs die Wirkung gewesen,
Die Abhandlung MEYERS ist mit grosser Literaturkenntnis geschrieben,
fesselnd durch die Art der Darstellung und reich an geistvollen und origi-
nellen Gedanken und sie gibt ein anschauliches Bild von der Bedeutung
eines mittelalterlichen Politikers, der oft genannt wird, dessen Schriften
aber wohl nur von wenigen gelesen werden. Laband.
Dr. Walther Schoenborn, Privatdoz. an d. Universit. Heidelberg. Stu-
dienzurLehre vom Verzichtimöffentl Recht. Tü-
bingen (J. C. B. Mohr) 1908. 95 S.
Die Abhandlung ist ausgezeichnet durch die Methode der Untersuchung,
durch die präzise Feststellung der logischen Kriterien des Begriffs und die
Folgerichtigkeit der Deduktion. Der vulgäre und laienhafte Gebrauch des
Ausdrucks „Verzicht“ ist viel weiter als der Rechtsbegriff und kann leicht
dazu verführen, Tatbestände, welche keine wahren Verzichte sind, diesem
Rechtsbegriff unterzuordnen; dahin gehören insbesondere der freiwillige
Nichtgebrauch einer rechtlichen Befugnis, die Unterlassung einer Hand-