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konstituierenden Gewalt ausgebildet und ihr eigenartige Seiten abgewonnen
haben, beschäftigt sich ZweEi@ inbesondere mit CONDORCET, der in Deutsch-
land wenig gekannt, erst in neuerer Zeit in Frankreich in seiner Bedeutung
für den revolutionären Ideenkreis eingehender gewürdigt wurde. Die von
ihm entworfene girondistische Verfassung ist weiteren Kreisen erst durch
den Wiederabdruck in der Sammlung französischer Verfassungsgesetze von
DueuIT und MOoNnNIER zugänglich geworden. Schon die Tatsache, dass
CONDORCFRT die Volksinitiative bei Verfassungsänderungen, die Einsetzung
von Konventen als Repräsentanten der konstituierenden Gewalt und plebis-
zitäre Genehmigung der Konventsbeschlüsse verficht, sichert ihm eine be-
deutsame Stellung in der Geschichte der revolutionären Ideen und recht-
fertigt die eingehende Darstellung, die ZwEIG seinen Ideen in verschiedenen
Partien seines Werkes zuteil werden lässt.
Den Kern des Buches bildet die überaus gründliche Erzählung der
Schicksale, die dem pouvoir constituant in den Ideen der Franzosen von
1789 bis zum 18. Brumaire beschieden waren. Zu diesem Zweck hat ZwEie
namentlich das reiche Material verarbeitet, das die Archives parlamentaires
und die von AULARD herausgegebene Zeitschrift „La Revolution frangaise“
darbieten, obwohl er sich keineswegs darauf beschränkt, sondern mit wahrem
Bienenfleiss die ganze neuere Literatur nach Zusammenhängen mit seinem
Gegenstand durchforscht hat. Die Darstellung ist wesentlich die referierende
des Historikers, obwohl es an staatsrechtlich-kritischen Bemerkungen nicht
mangelt. So wird uns denn das Durcheinanderwogen individueller Ansichten
in Parlamentsdebatten, Berichten, Erklärungen und Büchern vorgeführt und
dort, wo nicht schliesslich ein klarer Gesetzestext oder ein negatives Votum
sich als Resultat des Meinungskampfes ergibt, keine ganz sichere Entscheidung
darüber gewonnen, welcher jener Ansichten damals der Sieg gebührt hatte.
Sehr dankenswert wäre es gewesen, wenn ZwEIG am Schlusse sei es jedes
einzelnen Kapitels, sei es des ganzen Werkes zusammenfassend mitgeteilt
hätte, was er für das unanfechtbare Ergebnis aller dieser Kämpfe hält. Die Wir-
kung des Buches wäre dadurch zweifellos gesteigert worden. Ebenso wäre
ein gründlich gearbeitetes Personen- und Sachregister für die literarischen
Schicksale des Werkes von grosser Bedeutung geworden, da zu befürchten
ist, dass bei dem Umfange des Buches unverdienterweise viele Tatsachen
und Bemerkungen, die es birgt, unbeachtet bleiben werden. Bei dem un-
heimlichen Anschwellen der Literatur handelt jeder in eigenem Interesse,
der dem Leser nach Kräften die Benutzung seiner Werke erleichtert.
Die Lehre vom pouvoir constituant hat ihre Bedeutung keineswegs
in der französischen Revolution erschöpft. Sie spielt im politischen Leben
Amerikas, woher sie seinerzeit auf Frankreich gewirkt hatte, fortdauernd
ihre grosse Rolle und zwar nicht nur in den Vereinigten Staaten. Sie lebt
in mehreren europäischen Staaten sichtbar fort, nicht minder aber unausge-
Sprochen in den verfassungsändernden Institutionen anderer Staaten oder als