— 409 —
den Staat, sein Wesen und seine Aufgabe in Angriff nehmen
weil dies, wie gesagt, zur Zeit notwendig ist, und wollen einmal
sehen, zu welchem Ergebnis wir kommen.
Dabei ist die natürliche nächste Frage: Bis zu welchem Er-
gebnis ist die heutige Forschung gelangt? Wie, oder besser als
was stellt die Wissenschaft gegenwärtig den Staat dar? Da
stossen wir nun sofort auf die Tatsache, dass der Staat als Or-
ganismus bezeichnet wird, ja, dass man im Staate einen vollgül-
tigen Organismus sieht. „Wer die Geschichte der Staatslehre
aufmerksam und verständnisvoll betrachtet, der wird sehen, dass
die Bezeichnung des Staats als eines Organismus kein leerer Ver-
gleich, keine blosse Spielerei ist, sondern dass ihr ein heiliger
Ernst innewohnt?.“ „Wir haben in dem staatlichen Phänomen
eine Erscheinung vor uns, die man nicht besser, nicht treffen-
der, vor allem nicht kürzer bezeichnen kann, als indem man sie
mit dem physischen, insbesondere menschlichen Organismus zu-
sammenstellt“ $; Das sind so ein paar Beispiele aus den Ansichten
der Gegenwart, und im ganzen neunzehnten Jahrhundert zieht
sich durch die Schriften der Staatsrechtslehrer” wie ein roter
habe, als sich mit der gegebenen Tatsache des Staats und des Rechts zu
beruhigen und unter dem Einfluss einer gereiften Rechts- und Staatsverfas-
sung den rechtlichen Gehalt jener Bildungen zu überschätzen — ein Fehler,
den man sich dem ältern römischen Recht gegenüber vielfach hat zu Schul-
den kommen lassen.“
5 E. KAUFMANN, Begriff des Organismus S. 1,
®° B. SCHMIDT, Der Staat S. 22. Manvgl. dazu nur einmal W. WUnDT,
Methodenlehre S. 537 über Elementarorganismen! Der Staat also ein wachsen-
der, sich bewegender und fortpflanzender Organismus!
” Zusammengestellt bei E. KAUFMANN a. a. O. S. 10 ff. Ich verweise
aber dazu gleich auf A. Tu. van KRIEKEN, Organische Staatstheorie, G.
Meyer, Staatsrecht S. 12 f,, E. HöLDER, Staat S. 647 £., vor allem auf die
treffiichen Ausführungen von G. JELLINEK, System $. 39 ff., sowie auf dessen
Staatslehre S. 141 f., 8. 147 ff.; A. Lasson, Prinzip 8. 122: „das Wort Or-
ganismus, das auf den Staat angewendet statt zu klaren Begriffen zu einem
‚äuel von unklaren und schwebenden Vorstellungen Veranlassung gegeben
at.‘
Archiv für öffentliches Recht. XXV. 8. 27