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Am häufigsten geschah dies letztere beim Friedensbruch,
denn die schwere Verletzung des Sippenfriedens bedrohte die Ge-
meinschaft in ihrem Bestand, war angetan, sie in den ursprüng-
lichen Kampf von Mann gegen Mann aufzulösen. Wer sich den
Pflichten der Genossenschaft nicht fügen, wer sich dem Rechts-
zwang derselben nicht unterwerfen wollte, der sollte zur Strafe
auch an ihren Wohltaten nicht teilhaben!!’. Gegen den Frie-
densbrecher, den Verbrecher wird darum aufs strengste vorge-
gangen: er soll nicht als der Freund, als der Genosse gelten,
sondern er ist der Feind, und zwar der gefährlichere Feind, die
Schlange, die man am eignen Busen geborgen hat.
Nach älterem deutschen Recht muss der landräumige Ver-
brecher, der rümeland !!%, in Wald und Einöde flüchten, barfuss,
entgürtet, und nur einen Stab darf er mitnehmen. Der Wald-
gänger kann busslos und ungestraft erschlagen werden; Wargus,
Wolf nennt man ihn, weil er wie dieses Raubtier im Walde
hausen muss und rechtlich wie ein solches behandelt wird.
Wer einen Friedlosen seiner Sippe antraf und fing, weil er
ihn nicht selber erschlagen wollte, der hatte ihn gebunden zu
dem zu führen, der jenen friedlos gemacht hatte, musste sich
aber erbieten, dahin mitzugehen, wo der Friedlose umgebracht
werden sollte. Liess er diesen absichtlich entrinnen, so verlor
115 J. KoHLER a. a. OÖ. S. 34: „Wie sehr der einzelne in der Gesamt-
heit aufgeht, das zeigt sich darin: das Schwerste, das einen treffen kann,
ist, dass er aus der Gemeinschaft ausgestossen wird. Erist dann eine Null
und dem Verderben preisgegeben.“
116 Vgl. bes. J. GRIMM a. a. O. Il, S. 334; S.335 Anın.: Wargorum no-
mine indigenae latrunculos nuncupant. H. GEFFCKEN, Lex Salica S. 208 f.,
sagt: „Die gemeingermanische Bezeichnung des Friedlosen ist varc, varg
—= Würger, Wolf; ags. vearg, vearhtraef = Haus der Verbannten, Hölle;
alte. varac, varagtreo = Galgen; an. vargr; ahd. varc; got. vargs. Der
Friedlose ist wolfsfrei, d. h. er kann busslos erschlagen werden. Um die
sem Schicksal zu entgehen, muss er flieben.“ H. BRUNNER, Grundzüge S. 18:
gerit caput lupinum; siehe überhaupt die Darstellung H. BRUNNERs eben-
da S. 18 f,, ferner A. HEUSLER, Institutionen I, S. 138 f.