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Von dieser Möglichkeit ist in der schweizerischen und ameri-
kanischen Bundesverfassung so gut wie kein Gebrauch gemacht,
dagegen treten uns im Deutschen Reiche zahlreiche Abweichungen
dieser Art entgegen. Ihr Ursprung ist durchaus verschiedener
Natur. Es entspricht dem Wesen der Verfassungsurkunde als
des grundlegenden Gesetzes für die Rechtsbeziehungen zwischen
Reich und Einzelstaaten, dass sie auch in erster Linie die Be-
günstigungen einzelner Staaten festsetzt. Daher ist sie auch die
hauptsächlichste Quelle für die besonderen Rechte. Aber es ist
offenbar, dass das Reich ganz allgemein eine Begünstigung eines
Gliedstaates auch auf andere Weise bewirken kann als durch
eine ausdrückliche Bestimmung in der Verfassung*!. Allerdings
nur in dem Masse, als sie sich nicht gegen gemeingültige Ver-
fassungsvorschriften richtet. Denn alles, was sich auf diese
bezieht, kann natürlich nur verfassungsrechtlich festgestellt
werden °. Inwiefern durch diese Begünstigungen besondere Rechte
im technischen Sinne begründet werden, ist eine Frage, die uns
später zu beschäftigen hat. Das aber ist nicht zu bezweifeln,
dass durch sie eine Abweichung von sonst gültigen Rechtsregeln,
eine besondere Stellung des Gliedstaates anderen gegenüber ge-
schaffen werden kann. Für die Begründung besonderer Rechte
können also ganz allgemein alle rechtsbegründenden Akte in
Betracht kommen. Als solche sind neben der Verfassung zu
nennen Vertrag zwischen Reich und Gliedstaat, Gesetz, Ver-
ordnung *? und in letzter Linie auch Gewohnheitsrecht*. Wir
lassen, um es nochmals ausdrücklich zu betonen, vorläufig die
Frage gänzlich offen, inwieweit die so begründeten, unten im
einzelnen aufgeführten Abweichungen sich als besondere Rechte
41 Vgl. z. B. AnscHützz, Il, 520, ZoRN bei HoLTZENDORFF, Rechtslexi-
kon III, 1, 451; v. RöNNE, Staatsrecht II, 1, 48.
#2 Vgl. HÄner, StR. I, 811.
#3 Vgl. LABAND, StR. I, 106 und Ann. 1874, 1507 ff., Ritter, Erlanger
Diss. 1899, 34.
# So noch KıTTeEn a. a. O. 28.