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Obgleich die verbliebenen positiven besonderen Rechte prak-
tisch fast bedeutungslos sind, ist doch zu untersuchen, ob sie
rechtlich zu den Reservatrechten zu zählen sind. Die Leistung
der oben festgestellten finanziellen Begünstigungen an die Glied-
staaten stützt sich, wie wir erkannt haben, auf Vorschriften der
Verfassung; materiell stellen sie sich als Abweichungen dar, denn
im allgemeinen ist nach a. 70 RV. eine gleichmässige Stellung
der Gliedstaaten nach Massgabe ihrer Bevölkerung anzunehmen.
Diese Rechte genügen also allen Anforderungen der Reservat-
rechte wie der Bestimmung des a. 78 Abs. 2, sie sind demnach
als verfassungsmässige Reservatrechte anzusehen. Es ist wohl
möglich, dass die bei der Redaktion der Reichsverfassung Betei-
ligten sich nicht weiter klar gemacht hatten, dass diese Rechte
eine Sonderstellung einnehmen würden.
Die wichtigsten Ausnahmen von der gemeingültigen Reichs-
kompetenz, die wesentlichen Reservatrechte, finden sich nun inner-
halb des negativen Status. In erster Linie betreffen diese Rechte
die süddeutschen Staaten, denen bei ihrem Zutritt zum Nord-
deutschen Bund diese besonderen Vergünstigungen gewährt wur-
den. Es ist auch nicht zu bestreiten, dass der Satz des Art. 78
Abs. 2 durch diese Rechte veranlasst in die Verfassungsurkunde
kam, dass er aufgenommen wurde, um sie zu schützen. Dafür spricht
ganz entschieden die Auffassung derjenigen Schriftsteller, die wie
AUERBACH und HAUSER sich unmittelbar nach der Reichsgrün-
dung mit der Verfassung des neuen Staatswesens beschäftigten !”.
Eine objektive Betrachtung der Entstehungsgeschichte des Satzes
muss aber gleichfalls zu dem Ergebnis führen, dass er ursprüng-
lich für die süddeutschen Rechte gedacht war. Das wird auch
zum Teil von Anhängern einer weiteren Interpretation zuge-
den Rechte kommen u. a. auch ZORN I 130 und AnscHürz II 522, ersterer
auf Grund der engsten Interpretation und Berücksichtigung der Entstehungs-
geschichte und der ratio legis: besonderen Schutz für besondere Rechte.
ı S, oben S. 17 f.