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Strafdrohungen in den nationalen Gesetzbüchern. Warum sah
man nicht von ihnen ab und setzte in den Vertrag etwa ein:
Mord und Entwendungen? Die Volkssprache unterscheidet Mord
und Totschlag, Diebstahl und Unterschlagung kaum; man konnte
sich also an sie anlehnen. Es ist fast trivial, die Frage zu be-
antworten. Der Anschluss an die Terminologie der Strafrechte
ist so selbstverständlich, dass man mit der Beantwortung des
Warum in Verlegenheit kommen könnte. Ob Tatbestände im
nationalen oder internationalen Recht bezeichnet werden müssen,
macht keinen Unterschied; das Bedürfnis zu unterscheidenden
Benennungen ist handgreiflich, und dass die einmal vorhandenen
benutzt werden, verständlich, um so mehr, wenn man bedenkt,
dass das gesamte internationale Strafrecht, das Auslieferungs-
recht nicht ausgeschlossen, nur ein Zweig des nationalen Straf-
systems ist. Ist diese Erklärung und die Antwort richtig, dann
zeigt es sich, dass man bei der Redaktion der Verträge straf-
rechtliche Begriffe einander gegenübergestellt hat, die man dem
beiderseitigen Landesrecht entnahm. Das heisst aber nichts
anderes, als dass sich in den Listen nur beiderseits strafbare
Tatbestände aufgezählt finden ””.
b) Die beiderseitige Strafbarkeit des auslieferungs-
pflichtigen Tatbestandesim Einzelfall
24. Das allein genügt freilich nicht... Wenn auch jedes
Auslieferungsdelikt doppelseitiger Bestrafung unterworfen ist, so
bleibt es bei der Divergenz der Definitionen in den verschiedenen
Strafrechtssystemen dennoch nicht ausgeschlossen, dass man bei
der Anwendung auf den Einzelfall jedesmal die
Umschreibung im Strafrechte des Auslieferung nachsuchenden
Staates, und dieses allein, entscheiden liesse. Stellt die deutsch-
englische Konvention von 1872 in Artikel II Ziffer 9 „Not-
7 Vergl. v. Martıtz, Rechtshilfe Bd. 2 S. 712 über die Redaktion der
belgischen Verträge.