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vorgesehen habe”. Aus dem gleichen Grunde verharrte sie bei
ihrem Sträuben gegen die Annahme der sogenannten Attentats-
klausel, der Bestimmung, dass Königsmörder nicht als politische
Verbrecher Asylrecht geniessen, sondern der gemeinen Ausliefe-
rung unterworfen sein sollten. Da ihre Verfassung keinen König
und ihre Gesetzgebung keinen Königsmord kennt, glaubte sie,
auf die Voraussetzung beiderseitiger Strafbarkeit aller Ausliefe-
rungsdelikte und damit auf die Reziprozität verzichten zu müs-
sen®®. Von diesem strikten Festhalten an der Klausel zweisei-
tiger Strafbarkeit ist die Schweiz in neuerer Zeit zurückgekom-
men, soweit nur gemeine Verbrechen in Frage stehen. In ihrem
von ALPHONSE RIVIER°®? entworfenen Auslieferungsgesetz vom
22. Januar 1892 werden die Reate, zu deren Auslieferung die
vertragliche Pflicht übernommen werden kann, aufgezählt. Dann
sagt Artikel 4, dass die Auslieferung auch bewilligt werden könne,
selbst wenn das Delikt „in dem Strafgesetze des Zufluchtkantons
nicht besonders erwähnt ist, sofern diese Nichterwähnung lediglich
die Folge äusserer Verhältnisse ist, wie z.B. der Verschiedenheit
der geographischen Lage beider Länder“ !%, Für das deutsche
Auslieferungsrecht ist diese Bereitwilligkeit der Schweiz, in Aus-
nahmefällen auf die Klausel zu verzichten, nicht praktisch ge-
»" Siehe die Mitteilung aus der deutschen Denkschrift zu diesem Ver-
trage oben S. 60.
#8 Vgl. v. MArTIıTZz, Rechtshilfe Bd. 2 S. 507; METTGENBERG, Atten-
tatsklausel S. 110; TRAvAGLIA S. 280. Ob der befürchtete Mangel an Re-
ziprozität wirklich einträte, erscheint fraglich, sobald man die Familien-
mitglieder streicht; sind doch die Präsidenten der französischen Republik
und ebenso die der amerikanischen Freistaaten ohne Umstände in den
Schutz der Attentatsklausel aufgenommen worden (v. MArTıTz, Rechtshilfe
Bd. 2 S, 539; METTGENBERG, Attentatsklausel S, 106; unrichtig BEAUCHET
p. 134).
» Dessen Anschauungen siehe in seinen Principes Bd. 1 p. 349.
100 Abgedruckt in v. Marrıtz, Rechtshilfe Bd. 2 S. 811. Vgl. dazu
Art. 1 desselben Gesetzes, von dem oben S, 16 bereits die Rede war. Siehe
v. Martrıtz a. a. OÖ. Bd. 2 S. 524; Fun S. 278. Der Einfluss des Insti-
tuts für Völkerrecht ist hier unverkennbar.