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worden. Das Deutsche Reich selbst hat sie für seinen Teil nir-
gends aufgegeben. Die Verträge enthalten kein Verbrechen, das
nicht nach unserem Strafrecht strafbar wäre. Dass wir Kon-
zessionen annehmen, wenn wir die Bereitschaft dazu finden, kann
nicht überraschen !!, Jedenfalls sind solche Ausnahmen nicht
geeignet, die Klausel beiderseitiger Strafbarkeit als eine durch-
löcherte Regel erscheinen zu lassen, die kaum noch diesen Namen
verdient, sondern sie zeigen grade, wie bestimmt man sie als
Regel auffasste, wie ungern man von ihr abwich, und wie sehr
man sich selbst eine Rechtfertigung schuldig zu sein glaubte,
wenn man sie dennoch einmal ausser Acht liess. Die Ausnahmen
bilden den Hintergrund, von dem die Regel sich doppelt plastisch
abhebt.
c) Das Verhältnis der Klausel beiderseitiger Strafbar-
keitzu der Reziprozität,
31. Wenn man es demnach als erwiesen annehmen darf,
dass das heutige deutsche Auslieferungsrecht den Standpunkt
festhält, jede strafbare Handlung, derentwegen Auslieferung be-
gehrt werden kann, müsse als solche nach dem Recht beider
beteiligten Staaten mit Strafe bedroht sein, so ist damit gleich-
zeitig die Anschauung, welche Strafbarkeit im ersuchenden
Staate genügen lässt, als unzulänglich nachgewiesen. Sie wider-
spräche auch dem fundamentalen Prinzip der Reziprozität.
Die Reziprozität ruht im materiellen Auslieferungsrecht auf der
Basis beiderseitiger Strafbarkeit der für die Auslieferung in Frage
kommenden Delikte. Die Klausel bildet ihre unentbehrliche Vor-
01 So erbittet England, das seinerseits nicht ohne Vertrag ausliefern
darf, Auslieferungen auch von solchen Staaten, mit denen kein Vertrag be-
steht; siehe WueATon-ATLAY p. 187. Dem entspricht auch die nordameni-
kanische Praxis, obschon die Vereinigten Staaten an sich ganz wohl in der
Lage wären, auch ohne Vertrag Reziprozität zu gewähren; siehe FELIX
STOERK, Völkerrecht und Völkerkourtoisie (1908) 8, 140 fg. (Staatsrecht-
liche Abhandlungen, Festgabe für Paun LApBanp, Bd. 1. Tübingen 1908).