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gleichwertig sind“. Aus dieser Parität schließt man: „Wenn
ein Reichs- und ein Landesgesetz sich widersprechen und eine
Harmonie mittels der juristischen Interpretationskunst nicht herbei-
geführt werden kann, so gilt nach bekannter Regel die Vorschrift
des jüngeren Gesetzes“ ® oder mit anderen Worten: „Wenn Reichs-
gesetze mit Landesgesetzen kollidieren, so gilt genau das gleiche
wie wenn Reichsgesetze mit Reichsgesetzen oder Landesgesetze mit
Landesgesetzen kollidieren, d. h. das spätere Gesetz geht im all-
gemeinen dem früheren vor“ *.
Dabei geht die herrschende Lehre im großen und ganzen von
der Voraussetzung aus, daß lteichs- und Landesgesetze Normen
derselben Autorität seien. So lehrt JELLINEK. „daß die Per-
sönlichkeit des Gesetzgebers im Reiche sowohl als im Lande die-
selbe ist“5®; und SPIEGEL stellt fest: „Um so mehr muß man
sich für die Gleichwertigkeit von Reichs- und Landesgesetzen und
infolgedessen für die Derogierbarkeit des einen Gesetzes durch das
andere entscheiden, wenn man Reichgesetze und Landesgesetze in
gleicher Weise als Staats gesetze ansieht“. Aber auch wenn
man die Identität des Reichs- mit dem Landesgesetzgeber in Ab-
rede stellt, glaubt man dennoch zu dem gleichen Resultate der
Parität und gegenseitigen Derogierbarkeit beider Arten von Norm
gelangen zu müssen, wie z. B. PRAZAK ', so daß die Geltung der
Interpretationsregel: lex posterior derogat priori im Verhältnis
zwischen Reichs- und Landesgesetz in keinerlei Abhängigkeit von
der Frage steht, ob es sich dabei um Normen der gleichen oder
zweier verschiedener Autoritäten handelt.
Auffallend ist, daß die herrschende Lehre trotz dieser ihrer
——
% SPIEGEL, Artikel „Länder“ im Oesterr. Staatswörterbuch von MISCH-
LER und ULBRICH. III. Bd. 2. Aufl. S. 419.
3 JELLINEK, 4.2.0. S. 36.
* SPIEGEL a. a.0. 8. 419. Vgl. auch: HAUKE, Grundriß des Verfassungs-
rechtes, Leipzig 1905 S. 101.
5SA.a. ©. S. 32. eA.a. 8. 419.
’ Vgl. SPIEGEL a. a. O. S. 419.