Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 32 (32)

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dagegen — und zwar bei räumlich ganz zusammenfallenden Geltungs- 
gebieten — ın dem Verhältnis der Normen des Gesetzesrechtes 
zu denen des Gewolnheitsrechtes gegeben. Solange nicht das 
Gewohnheitsrecht durch das Gesetz anerkannt ist, oder — wie 
mitunter geschieht — das Gesetzesrecht durch den Geltungsgrund 
der Gewohnheit gerechtfertigt wird, stehen sich Gesetzesrecht und 
Gewohnheitsrecht als zwei selbständige und souveräne Normsysteme 
gegenüber, die das Pflichtsubjekt in einen rechtslogisch un- 
lösbaren Konflikt setzen. Die Lösung kann im Einzelfalle stets 
nur eine faktische sein und nur unter Verletzung der Norm einer 
der beiden anerkannten Autoritäten erfolgen. Daß eine ältere 
Gesetzesnorm durch einen jüngeren Gewohnheitsrechtssatz auch 
objektiv ihre Sollgeltung verliert, Gesetzesrecht durch Gewohn- 
heitsrecht zerstört wird, ist eine rechtslogisch nicht begreifbare 
These und ein Problem, das außerhalb dieser Untersuchungen liegt. 
Hier kommt es nur darauf an, den Unterschied aufzuzeigen, der im 
Verhältnis von Normen derselben und Normen verschiedener Auto- 
ritäten besteht. Der Unterschied gilt natürlich nur für eine 
Logik des Rechtes, für eine Normerkenntnis, nicht für 
die Praxis des Handelns, an die sich ja Denknormen der 
Logik nicht richten. Wenn man in dem Verhältnis zwischen Ge- 
setzesrecht und Gewohnheitsrecht den Grundsatz lex posterior de- 
rogat priori als rechtslogisches Prinzip zur Anwendung bringen 
will, muß man voraussetzen können, daß beide Normsysteme auf 
eine identische Autorität zurückführbar sind, d. h. nıcht mehr im 
Verhältnis der Koordinierung, sondern dem der Unter- und Ueber- 
ordnung zueinander stehen. Das ist zweifellos der Fall, wenn 
durch Gesetz die Geltung des Gewohnheitsrechtes aufrecht er- 
halten wird, indem bestimmt wird, daß eine jüngere Gewohnheit 
einer älteren Gesetzesnorm vorangeht. Der Grundsatz lex poste- 
rior usw. gilt jetzt nicht mehr als rechtslogisches Prinzip, son- 
dern als gesetzlich ausgesprochene Vorschrift. Das ganze Ge- 
wohnheitsrecht erscheint somit als ein Normsystem zweiten Grades, 
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