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die Autorität des Gewohnheitsrechtes durch jene des (Gesetzes-
rechtes delegiert. Das Gesetz ist als oberste und letzte Form alles
Rechtes gedacht, soferne eben letzten Endes eine in Form
des Gesetzes erscheinende Norm als oberste Rechtfertigung auch
des Gewohnheitsrechtes dient. Was die Frage der Kompetenz-
hoheit betrifft, so scheint es, als ob hier sowohl dem System des
Gesetzesrechtes als auch jenem des Gewohnheitsrechtes Kompe-
tenzhoheit zukomme, sofern jedes der beiden sein Gebiet auf Ko-
sten oder zu gunsten des anderen ausdehnen oder einschränken
kann. Allein es darf nicht vergessen werden, daß sofern der An-
nahme nach die Geltung des Gewohnheitsrechtes auf der Aner-
kennung durch das Gesetz beruht, diese Geltung durch das Ge-
setz jederzeit eingeschränkt oder aufgehoben werden kann, wes-
halb die Kompetenzhoheit ausschließlich und allein der Autorität
des Gesetzes zuzusprechen ist, zumal ja formal überhaupt nur
diese, nicht aber eine solche des Gewohnheitsrechtes in Betracht
kommen kann
Dieser Fall, ins Allgemeine erhoben, zeigt die Möglichkeit,
daß Normen der einen Autorität kraft eigener Bestim-
mung durch jüngere Normen einer anderen Autorität abgeän-
dert oder aufgehoben werden können. Soll die Regel lex posterior
derogat priori zwischen Normen verschiedener Autorität Anwen-
dung finden, muß dies ausdrücklich durch die eine von beiden
normiert werden. Die fragliche Regel gilt dann als Norm (z. B.
als Rechtssatz), nicht als rechts-logisches Prinzip. Als oberste und
damit als einzige Autorität ist aber dann jene zu erkennen,
auf deren Anordnung hin die Regel angewendet wird. Die an-
dere Autorität verliert ihren spezifischen Charakter und damit ist
die Regel lex posterior nunmehr auch als rechtslogisches Prinzip
in Geltung. Als solches bleibt es von vornherein aufrecht, wenn
man, um die Einheit der Rechtsautorität zu wahren, nicht das
Gewohnheitsrecht auf das Gesetzesrecht zurückführt (falls mangels
gesetzlicher Anerkennung eine solche Zurückführung unmöglich