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Fall, wenn im Verhältnis zwischen Reichs- und Landesgesetz der
Grundsatz lex posterior derogat priori als Rechtsnorm zur Anwendung
zu kommen hat. Muß eine Verschiedenheit der normsetzenden Auto-
ritäten von vornherein angenommen werden, dann kann dieser Grund-
satz, wie aus allem bisher Gesagten deutlich hervorgeht, nur kraft aus-
drücklicher Normierung zur Geltung kommen. Formell ist dann
jene normsetzende Autorität als oberste zu betrachten, auf deren
Anordnung hin der fragliche Grundsatz zur Anwendung kommt.
Ihr ist Souveränität und Kompetenzhoheit zuzusprechen und da-
mit die formelle Identität der normsetzenden Autorität bei Reichs-
und Landesgesetz wiederhergestellt.
Muß man aber a priori mit einer Identität der normsetzen-
den Autorität in Reich und Land rechnen, dann gilt im Verhältnis
beider Normenarten der Grundsatz lex posterior als rechts-
logisches Prinzip, wenn sich nicht von vornherein die eine Ge-
setzgebung als Delegat der anderen nachweisen läßt. Letzterenfalls
— das typische Beispiel bietet das Verhältnis von gesetzgebender
und Verordnungsgewalt — ist eine Derogierung der Normen der
delegierenden durch Normen der delegierten Gesetzgebung aus-
geschlossen, soferne diese Möglichkeit nicht durch die delegierende
Gewalt ausdrücklich normiert ist.
$3 Der Ausgangspunkt der juristischen Kon-
struktion.
Die spezifisch juristischen Erkenntnisse lassen sich deut-
lich in zwei Gruppen scheiden. Bei den einen stehen reale
Tatbestände in der Außenwelt den Rechtsnormen (als geistigen
Elementen, Vorstellungen im Bewußtsein des Erkennenden) gegen-
über und es handelt sich darum, die vorliegenden realen Tatbe-
stände nach den im Bewußtsein gegebenen Normen zu beurteilen,
so z. B. ob irgendein Tatbestand sich als Unrecht darstellt und
welche Unrechtsfolgen sich an ihn knüpfen, ob ein anderer Tat-
bestand ein Rechtsgeschäft ist und welche Wirkungen ihm nach