— 2l7 —
und deren gegenseitiges Verhältnis handelt, immer muß von ir-
gendeiner letztlich selbst als gültig vorausgesetzten und obersten
Norm (oder einem Normensystem) der Ausgang genommen werden.
Die Frage der Gültigkeit dieser letzten als Voraussetzung aller
juristischen Erkenntnis angenommenen Norm, liegt dann außerhalb
dieser juristischen Erkenntnis. Diese letzten Endes als oberste
vorausgesetzte Norm ist dann gleichsam der archimedische Punkt,
von dem aus die Welt der juristischen Erkenntnis in Bewegung
gesetzt wird. Die Auswahl dieses Standpunktes ist im Grund keine
juristische, sondern eine politische Frage und muß daher vom
Standpunkt juristischer Erkenntnis immer den Anschein von Will-
kürlichkeit haben. Der tatsächlichen Kontinuität der historischen
Entwicklung entspricht keineswegs eine ununterbrochene Rechts-
kontinuität; fast alle heute geltenden Rechtsordnungen ruhen auf
revolutionärer Grundlage, beginnen ihre Entwicklung mit einem
Bruch der alten Ordnung, von der aus beurteilt alle späteren
Normen ungültig erscheinen würden, weil die Art und Weise
der Normentstehung und damit die normsetzende Autorität eine
andere geworden ist. In der Regel wird bei der Umwandlung
einer absoluten Monarchie in eine Republik oder eine konstitutio-
nelle Monarchie die Rechtskontinuität unterbrochen. Allein denk-
bar ist auch die Begründung der neuen Staatsform durch eine
Norm der alten Autorität. So ist erst kürzlich die chinesische
Monarchie durch ein Gesetz des absoluten Monarchen in eine Repu-
blik gewandelt, so ist z. B. in Oesterreich die Verfassung durch
einseitige Normen des faktisch absolut regierenden Kaisers ins Leben
gerufen worden: mit Oktoberdiplom von 1860 oder Februarpatent
von 1861 beginnt die Kontinuität unserer Verfassungsentwicklung.
Denn wie diese beiden Gesetze vom Standpunkt älterer Verfas-
sungsnormen aus — z. B. von der verfassungswidrig (also de jure
überhaupt nicht) aufgehobenen 49iger Verfassung — zu beurteilen
wären, muß fraglich erscheinen; wäre auch ziemlich müßig zu unter-
suchen. Diese beiden Gesetze werden eben faktisch zum Aus-