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Standpunkt desGrundgesetzes über die Reichsverfassung im Reichsrate,
vom Standpunkte der Landesverfassung in dem betreffenden Land-
tage bedarf. Erfüllt aber ein Reichsgesetz oder ein Landesgesetz
diese erschwerende Bedingung, dann ist es — und zwar vom Stand-
punkte der Landesverfassung nur das erste, vom Standpunkt der
Reichsverfassung nur das zweite — durchaus verfassungsmäßig.
Dagegen ist das die Kompetenzgrenze zwischen Reichs- und Lan-
desgesetzgebung überschreitende, vom Staudpunkt der Reichsver-
fassung durchaus korrekte Reichsgesetz vom Standpunkt der Lan-
desverfassung ungültig, da dieser zufolge jede Aenderung dieser
Grenze nur durch qualifiziertes Landesgesetz möglich ist. Und
das Analoge gilt von einem die durch das Februarpatent gezogene
Kompetenzgrenze überschreitenden Landesgesetz vom Standpunkte der
Reichsverfassung aus. Von einer Anwendung des Interpretations-
grundsatzes lex posterior derogat priori kann im Verhältnis zwischen
Reichs- und Landesgesetzen nach diesen klaren Bestimmungen des
Februargesetzes gar keine Rede sein. Denn widerspricht ein jünge-
res Reichsgesetz einem gültigen älteren Landesgesetze, dann muß
es in die Kompetenz der Landesgesetzgebung eingegriffen haben
und ist als Reichs gesetz vom Standpunkte der Landesverfassung
verfassungswidrig, wenn es auch vom Standpunkte der Reichsver-
fassung, falls es den die Reichskompetenzänderung betreffenden
Bestimmungen des $ 14 Grundgesetzes über die Reichsvertre-
tung entspricht (oder eine verfassungsmäßige Kompetenzerwei-
terung vorangegangen ist), ein einwandsfreier ist. Das zur Be-
obachtung oder Anwendung der Gesetze verpflichtete Subjekt
(Untertan oder Staatsorgan) steht vor einem rechtslogisch un-
lösbaren Pflichtenkonflikt, der durchaus analog demjenigen ist,
in dem man sich gegenüber einer Kollision von Rechts- und
Moralnormen, oder Rechtsnormen verschiedener und gegenseitig
unabhängiger Staaten befindet. Man steht vor der durch kein
Juristisches Moment determinierten Wahl zwischen zwei Au-
toritäten, von denen man der einen nicht gehorchen kann ohne