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nichtssagende Argument nicht offenkundiger mißbraucht werden
kann, niemals nichtssagender ist als im vorliegenden Falle Nur
wenn man das vom Standpunkte einer bestimmten politischen
Ueberzeugung, nämlich des Zentralismus, wünschenswerte Resultat
als allgemeingültig voraussetzt, kann man behaupten, es läge in
„der Natur der Sache“, daß „die Rechtsmacht über die Kompe-
tenz nur der Reichsgesetzgebung zusteht“ ?®®., Vom Standpunkte
des Föderalismus entspricht zweifellos das Gegenteil der Natur
der Sache, nämlich die ausschließliche Kompetenzhoheit der Län-
der! Die JELLINEKsche Argumentation ist so recht ein Beispiel
für die unzulässige Determinierung juristischer Konstruktion durch
politische Werturteile.e Was aber das andere Argument betrifft.
der Reichsgesetzgebung stehe darum allein die Kompetenzhoheit
zu, weil wiederholt durch Reichsgesetz die Kompetenz der Länder
abgeändert worden sei, so ist dieses Argument, das auch bei an-
deren Autoren ständig wiederkehrt, kaum ernstlieh aufreeht zu
erhalten. Denn wenn es sich darum handelt, ob nur dem Reich
und nicht den Ländern die Kompetenzhoheit zusteht, dann fragt
es sich ja gerade, ob die Reichsgesetzgebung legaler Weise
über die Kompetenz der Länder verfügen kann und konnte. Daß
sie es tatsächlich versucht hat, ist für die Frage, ob sie
dazu berechtigt war, offenbar gleichgültig; die Frage, ob irgend-
ein Organ zu irgendeiner Maßregel rechtlich kompetent sei, kann
nicht durch die Tatsache beantwortet werden, daß dieses Organ
diese Maßregel tatsächlich getroffen hat.
Wenn der Reichsrat von 1861 ein Reichsgesetz beschlossen
hat, durch das die Immunität der Landtagsmitglieder geregelt.
somit die Landesordnungen ergänzt, d. h. aber abgeändert wurden,
wenn der Reichsrat von 1867 durch ein Reichsgesetz die Kompetenz-
grenze zugunsten der Länder neu zu regeln und somit die Landes-
ordnungen abzuändern suchte, und wenn 1873 durch ein Reichs-
A.a.0. 8.28. Vgl. auch TEZNER, Die Volksvertretung, Wien 1912.
S. 647 ff. u. 242 ff.