Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 32 (32)

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Wie schon früher ausgeführt, könnte somit der Grundsatz lex 
posterior derogat priori im Verhältnis zwischen Reichs- und Lan- 
desgesetzen nur über positivrechtliche Anordnung gelten. Da das 
67er Grundgesetz über die Reichsvertretung in keiner Weise 
dem Landesgesetzgeber neben dem Reichsgesetzgeber eine Kom- 
petenzhoheit einräumt und auch nicht im entferntesten die gegen- 
seitige Derogierbarkeit von Reichs- und Landesgesetz vorschreibt, 
kann der Grundsatz: Landrecht bricht Reichsrecht, auf Grund der 
Reichsverfassung von 1867 — sofern man eben diese als oberste 
und nicht weiter rückführbare Verfassungsrechtsnorm ansieht —- 
nicht als gültig angenommen werden. Das Recht des Landes- 
gesetzgebers, seine Kompetenz selbst (wenn auch nicht ausschließ- 
lich) zu bestimmen, könnte nur auf $ 38 der Landesordnung zu- 
rückgeführt werden: dieser aber ist mit der Reichsverfassung von 
1867 unvereinbar. 
Geht man somit von der Gültigkeit des Grundgesetzes über 
die Reichsvertretung von 1867 aus — und dies ist, wie gezeigt. 
nur möglich, wenn man es willkürlich zu einem originären Aus- 
gangspunkt juristischer Konstruktion macht — dann ist die 
Möglichkeit einer einheitlichen Verfassung für die im Reichsrate 
vertretenen Königreiche und Länder gegeben. Dann ist jener 
Doppelstandpunkt vermieden, der eine Norm gleichzeitig sowohl 
gültig als auch ungültig erscheinen läßt, jene rechtslogisch un- 
mögliche Konkurrenz zweier mit Kompetenzhoheit begabter Le- 
gislativen. Mit der ausschließlichen Kompetenzhoheit des Reichs- 
gesetzgebers erscheint der Landesgesetzgeber, dessen Wirkungskreis 
durch Reichsgesetz umschrieben wird, überhaupt nicht mehr als 
eine selbständige und oberste normsetzende Autorität, sondern nur 
als ein Delegat oder Stellvertreter des Reichsgesetzgebers. Das 
Verhältnis des Landesgesetzes zum Reichsgesetz erscheint dann 
nach österreichischer Verfassung nicht wesentlich anders als das 
analoge Verhältnis im Deutschen Reich und entspricht im Prin- 
zipe durchaus dem Verhältnis der Verordnung zum Gesetze nach
	        
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