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Kundmachung, nicht aber das verfassungsmäßige Zustandekommen
eines Gesetzes vom Gerichte geprüft werden dürfe. Es ist somit
zwar die Möglichkeit einer Gesetzesnichtigkeit aus for-
malen, nicht aber aus materiellen Gründen gegeben ®".
Jede Verletzung der die Publikation betreffenden Vorschriften hat
Nichtigkeit des Gesetzes zur Folge, nicht aber die Verletzung der
das Zustandekommen des Gesetzes bis zum Augenblick der Publi-
kation betreffenden Bestimmungen. Denn jede Prüfung, ob diese
Bestimmungen im konkreten Falle beobachtet wurden oder nicht,
wird durch die Verfassung ausgeschlossen.
Der Wortlaut des Staatsgrundgesetzes über die richterliche
Gewalt Art. 7 ließe allerdings eine Interpretation zu, derzufolge
auch eine materielle Gesetzesnichtigkeit als möglich anzuneh-
men wäre. „Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter
Gesetze steht den Gerichten nicht zu.“ Der Begriff des Ge-
setzes ist durch Oktoberdiplom, Februarpatent, Grundgesetz
über die Reichsvertretung und Landesordnungen festgelegt. Was
diesem Begriff nicht entspricht, ist überhaupt nicht Gesetz. Was
aber nicht „Gesetz“ ist, kann niemals als Gesetz gehörig kund-
gemacht werden. Nur Gesetzen gegenüber fehlt dem Richter
materielles Prüfungsrecht, nicht aber Scheingesetzen, Pseudoge-
setzen, Nicht-Gesetzen gegenüber. Der Richter hätte also zu
prüfen, ob das, was als Gesetz publiziert ist, wirklich ein Gesetz
im Sinne der Verfassung sei. Damit wäre natürlich der Art. 7
des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt jedes Sinnes
und Inhaltes beraubt; obgleich diese Interpretation ın der
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4 In einem gewissen Sinne sind auch die Bestimmungen über das Zu-
standekommen von Gesetzen, soweit sie sich auf das Stadium vor der Publi-
kation beziehen, formaler Natur; „materiell“ sind sie nur relativ, in
bezug auf die Publikationvorschriften. Eine materielle Verfassungs-
widrigkeit von Gesetzen, im Sinne einer bloß durch den Inhalt des Ge-
setzes begründeten Verfassungswidrigkeit, ist überhaupt nicht möglich, so-
fern anch die Verfassung eben abänderbar ist, ihre Abänderung aber an
bestimmte Formen gebunden ist.
Archiv des öffentlichen Rechte. XXXII. 344. 28