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über die richterliche Gewalt allen Gerichten ausnahmslos
entzogene Recht zuspricht, die Gültigkeit jenes gehörig kundge-
machten Gesetzes zu prüfen, wegen dessen Kontrasignatur die
Anklage erfolgt. Eine solche Ausnahmsstellung des Staatsgerichts-
hofes, die z. B. HAUKE tatsächlich behauptet??, müßte in der
Rechtsordnung doch irgendwo ausdrücklich begründet sein. Allein
es findet sieh dafür kein Anhaltspunkt in der Verfassung, was natür-
lich die Auffassung stärkt, die ministerielle Verantwortlichkeit sei
auf die Exekutive einzuschränken. Die Behauptung, daß dem Staats-
gerichtshof sogar das Recht zustehe, das fehlerhafte Gesetz zu
kassieren. ist vom Standpunkt des positiven österreichischen
Rechtes reine Phantasie.
Die fragliche ministerielle Haftung für legislative Akte —
ihre positiv-reehtliche Statuierung vorausgesetzt — ist rechtslo-
gisch möglich. Wenn JELLINEK behauptet, es widerspräche den
Grundsätzen der juristischen Logik, wenn eine Kammer die Ver-
antwortlichkeit für ihre Beschlüsse auf andere, speziell auf den
Minister „abwälzen“** wollte, so ist das insoferne nicht richtig,
als eben die Kammer von vornlierein keine rechtliche Verant-
wortung für ihre Beschlüsse trägt, und vielleicht gerade wegen
der Unverantwortlichkeit des Parlamentes — wie beim Monar-
chen — das Bedürfnis nach einem anderen Träger der Verant-
wortung gegeben scheint. Ebenso unzutreffend ist es, wenn WEYR
*# A.a.0. S.105, freilich ohne diese Behauptung positiv rechtlich zu
rechtfertigen.
# A, a. O. 8. 18: „Die Regierung ist, bevor sie ein Gesetz zur aller-
höchsten Sanktion unterbreitet, nicht gehalten, auch ihrerseits die Kom-
petenzfrage zu prüfen. Der Beschluß der betreffenden legisla-
tiven Kollegien überhebt sie jeder Verantwortlichkeit für
die Verfassungsmäßigkeit des inFrage stehenden Ge-
setzes.“ Dagegen sagt JELLINEK 8. 34: „Die Minister haften
für die Verfassungsmäßigkeit aller Regierungsakte, also auch
für die Verfassungsmäßigkeit der publizierten, von ihnen kon-
trasignierten Gesetze.“ Ein offenbarer Widerspruch! Vgl. auch
WEyR a. a. O. S. 37/38.