Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 32 (32)

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„soziologischen Jurisprudenz* muß so Selbstverständliches immer 
wieder gesagt werden. 
Und wie dieser Einwand, der die Unzulässigkeit eines Gegen- 
satzes zwischen Recht und Wirklichkeit postuliert, das Wesen 
des Rechtes ganz und gar mißversteht, so bedeutet der andere, 
der die Möglichkeit eines \Widerspruches zwischen Recht und 
Moral oder politischer Vernunft negiert, das völlige Verkennen 
jener Kardinaleigenschaft des Rechtes, welche die moderne Rechts- 
wissenschaft voraussetzen muß, wenn sie sich von der moralischen 
und politischen Spekulation des Naturrechtes unterscheiden will: 
des Positivismus. Stets offen bleiben muß die Frage, wel- 
chem von beiden Prinzipien, dem des Naturrechtes oder jenem 
des Positivismus., letzten Endes der Vorzug gebührt, zumal diese 
Alternative in den Gegensatz der \Veltanschauungen und Charak- 
tere mündet. Zweifellos sind es gegenwärtig gewisse durch die 
politischen Verhältnisse verschärfte Mängel der parlamentarischen 
Rechtserzeugung, die in der sogenannten „Freirechtsbe- 
wegung“ eine Tendenz zu naturrechtlichen Prinzipien gezeitigt 
haben. Die schwerfällige parlamentarische Maschine erzeugt die 
erforderlichen Rechtsformen nicht prompt genug und scheint all- 
mählich mit dem politischen Schwergewicht — das sich dezen- 
tralisierend in die großen wirtschaftlichen Organisationen verlegt 
— auch die moralische Kompetenz zur Rechtserzeugung zu ver- 
lieren. Zumal in Oesterreich, wo die parlamentarische Maschine 
infolge innertechnischer Mängel zum großen Teil „leer läuft“. Es 
ist nur zu begreiflich, daß man im Bereiche der Rechtspraxis 
müde wird, auf Normen zu warten, welche die zur Normgebung 
kompetent erachtete Autorität zu produzieren sich für unfähig 
erweist. Allein die Rechtstheorie kann, ohne zu ihrer Vor- 
aussetzung in Widerspruch zu geraten, diesem von der Gesetzgebung 
unbefriedigten Bedürfnis der Praxis nach zweckmäßigen Normen 
keine neuen Befriedigungsmöglichkeiten öffnen noch aueh irgend- 
welche von der Praxis benützte Notbehelfe rechtfertigen, solange sie 
Archiv des öffentlichen Rechts. XXXIL. 3/e. 29
	        
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