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Eine Definition für ihren sehr dehnbaren und unbestimmten
Begriff ist nicht leieht zu geben. Feste Grenzen lassen sich über-
haupt nicht ziehen. Sie ist von der parlamentarischen Rechts-
ordnung zu trennen, wie der polizeiliche Begriff der öffentlichen Ord-
nung von dem der allgemeinen Rechtsordnung. Parlamentarische
Ordnung ist, so können wir etwa sagen, die Gesamtheit der Nor-
men, deren Befolgung nach den im Parlament herrschenden —
nur selten und ungern wechselnden — Anschauungen als Vorbe-
dingung einer gedeihlichen, das Staatsleben fördernden Beratung
der Abgeordneten und als Grundlage des innerparlamentarischen
Lebens gilt. Hiernach umfaßt der Begriff Rechts- und Sitten-
sätze. Erstere sind entweder im geschriebenen oder ungeschrie-
benen, also in den Geschäftsordnungen und Verfassungen bzw. in
der Observanz und dem Gewohnheitsrecht enthalten. Letztere
sind Regeln der parlamentarischen Sitten, die allmählich teils ım
nationalen Parlament selber entstehen, teils durch Rezeption über-
nommen werden. Sie werden in ihrer Gesamtheit als parlamen-
tarischer Brauch bezeichnet und bilden, mit der parlamentarischen
Rechtsordnung, den einheitlichen Begriff der parlamentari-
schen Ordnung '®,
1909 Eine Bestätigung unsrer Meinung findet sich in den österreichischen
GOen: I, $ 46: „Störungen der Verhandlung, Persönlichkeiten und Ver-
letzungen des Anstandes oder der Würde des Hauses“, und II, $ 57A:
„ Verletzung des Anstandes oder der Sitte oder Strafwürdigkeit einer Aeuße-
rung des Abgeordneten“. Zustimmend wohl auch LABAnD, DJZ. 1903, 6:
„Der Ausdruck Ordnung umfaßt die gesamte GO., die Tagesordnung, Rede-
ordnung, Abstimmungsordnung, Sitzungsordnung und Hausordnung‘ ; ferner
ZIMMERMANN, Z. f. d. ges. StaatsW. 63 421, wenn er den Ordnungsruf als
„die vollkomnien einheitliche Ahndung der vorgekommenen Ordnungswid-
rigkeit“ bezeichnet. Wesentlich enger scheint HuBrıcH (z. B. 400 i. f. ff.)
den Begriff zu fassen, da er stets die allgemeine Rechtsordnung der parl.
Ordnung gegenüberstellt; er befindet sich sonach in Uebereinstimmung mit
den Vereinigten Staaten I, R. XIX, 4 („viole le reglement du Senat“, vgl.
MoREAU II, 114) und Il, R. XIV, 4; Braunschweig $ 57.