Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 32 (32)

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älteren Lehre befangen, in Vermengung der Begriffe Unverletz- 
lichkeit und Unverantwortlichkeit, von völliger Unverletzlichkeit 
der Person des Abgeordneten. Da aber, wenn sich jene Lehre 
durchsetzte, eine volle Verantwortungsfreiheit ein ordnungsgemä- 
ßes Verhandeln im Parlament unmöglich machen mußte, glaubten 
zahlreiche Verfassungen ausdrücklich vorschreiben zu müssen, daß 
der Volksvertreter dem Parlament verantwortlich sei ®, Nach der 
heutigen Auffassung vom Beruf des Abgeordneten ist die Frage 
nach der Berechtigung der Disziplin recht müßig. Sie bildet über- 
all die Grenze für die Immunität 2°. Nichts als Reminiszenzen 
an die längst überwundene Theorie sind es daher, wenn Abge- 
ordnete immer und immer wieder deklamieren, sie seien, weil von 
ihren Wählern ins Parlament geschickt, nur diesen verantwort- 
lich *, Ein anarchischer Zustand im Innern des Parlaments mit 
den schlimmsten Folgen für den Staat wäre das Ergebnis dieser 
Theorie. 
Die Immunität findet also ihre Grenze an der Disziplinarge- 
walt des Parlaments. Die Freiheit vom Strafrecht fordert aus 
rechtspolitischen Gründen einen Ausgleich, und hieraus ergibt sich 
eine der Funktionen der parlamentarischen Disziplin. 
1. Die parlamentarische Disziplin als Ersatz des gemeinen 
Strafrechts. Hiermit tritt sie in Gegensatz zu allen Disziplinar- 
rechten, besonders zum Beamtenrecht. Dort wurde allerdings von 
einigen das Disziplinarrecht zu Unrecht als Sonderstrafrecht an- 
gesehen. Hier ist die Rechtslage, wegen der Immunität, anders. 
42% Baden VU. $ 48a; Bayern VU. VII $ 27; Braunschweig $ 134; Ol- 
denburg Art. 131 $ 1; Schaumburg-Lippe $ 17 II. Ordnungsmaßregeln wie 
den OR. gestand man der Kammer zu (K. S. ZACHARIAE a. a. 0.176, 200), 
weitere nicht, da hierin ein unzulässiges Zurverantwortungziehen läge. 
Ueber den bestrittenen, oft z. B. von MÜLLER-MEININGEN AnnDR. 1906 
641 ff. verkannten Begriff ist hier nicht zu handeln. 
430 So auch ERRERA, Das Staatsrecht des Königsreichs Belgien 1909 
S. 106. 
431 Abg. SINGER, RT. StenBer. 1894/5 145 C; pr. AbgH. 1910 Drucks. V 
3511; Abg. BoRGMANN, AbgH. StenBer. 1910, IV 5502 ı. f.
	        
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