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Schon GNEIST weist darauf hin, „daß im Verwaltungsrecht eine feste
Scheidung zwischen Grenzbestimmungen und Maßbestimmungen nicht durch-
führbar ist“ und erklärt für das Polizeirecht: „Die Maßbestimmung ist hier
zugleich Grenzbestimmung: Beides fließt unscheidbar ineinander“ (Verhand-
lungen S. 234). In der Tat ist die parteiische Maßbestimmung eine Rechts-
widrigkeit. Es gibt einen Rechtssatz: Handle nicht parteiisch; im
Grundrechte der Gleichheit ist er enthalten (Art. 4 Preuß. Verf.Urkunde);
er gilt aber als wahrscheinlicher Wille des Gesetzgebers auch ohne aus-
drückliche gesetzliche Regelung. Man nehme eine Polizeiverordnung, die
bestimmt: „Sozialdemokratische Radfahrer haben ihre Laternen um 8 Uhr
abends anzuzünden, konservative erst um 9 Uhr“, so wird doch niemand
bezweifeln, daß diese Verordnung rechtsungültig ist, vermöge des Rechts-
fehlers des zu geringen Umfangs, der ungleichmäßigen Behandlung (Gesetz,
Gesetzesanwendung usw. S. 261 ff... Das gleiche gilt dann aber auch für
polizeiliche Verfügungen, nur daß hier der Nachweis einer parteiischen
Behandlung meist schwerer ist. Eine Polizeiverfügung mit der Begründung:
„Dir wird das Tanzgesuch abgeschlagen, weil du Sozialdemokrat bist“, ist
doch zweifellos rechtswidrig, ebenso wie es eine Rechtswidrigkeit ist, wenn
die Polizei von 100 völlig gleichen Dachkammern 99 unbeanstandet läßt
und eine einzige beanstandet. Ich habe diese Frage anderweit ausführlich
behandelt und dort auch die umfangreiche Rechtsprechung über diesen
Punkt dargestellt und mit Berücksichtigung GNEISTs gewürdigt (Gesetz,
Gesetzesanwendung S. 323 ff., S. 326 N. 13, 8. 333, S. 72 N. 18).
Alles in allem: Auch die gerechte Maßbestimmung GNEISTs gehört zur
Rechtsfrage.e Wer für die preußische Verwaltungsgerichtsbarkeit Ermes-
senskontrolle in Anspruch nehmen will, darf sich nicht auf GnEisT berufen.
Insbesondere hat bei der Anfechtungsklage das Preußische OVG. weder
nach dem ursprünglichen Sinne des Gesetzes noch aus sonstigen Gründen
eine andre Frage zu prüfen als die Rechtsfrage und die Tatfrage. Auch
hat es im Verlaufe seiner Rechtsprechung nie eine andre Frage geprüft als
diese beiden. "
4. Damit komme ich zu einer vierten vom Verfasser ausführlich be-
handelten Frage: Gibt es ein subjektives Recht des einzelnen gegen den
Staat auf richtige Ausübung des freien Ermessens (8. 162 ff., S. 209 £.)?
Soweit hier das „richtig“ vom Standpunkte der Zweckmäßigkeitserwägungen
betrachtet wird, gibt es einen solchen Anspruch, wie Verfasser zutreffend
erkennt, nicht. Denn über den inneren Wert oder Unwert der Zweck-
mäßigkeitserwägung entscheidet die Behörde, der einzelne hat also keinen
Anspruch auf eine bestimmte Ausübung des freien Ermessens. Davon ganz
verschieden ist die Frage, ob nicht das Gesetz vorschreiben kann, die Be-
hörde habe bei Ausübung ihres Ermessens gewisse Erwägungen anzustellen
oder zu meiden. In der Tat kann das Gesetz dies tun. So ist es ein un-
zweifelhafter Satz des geschriebenen (etwa $ 7 Abs. 1 Regierungsinstruk-