Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 32 (32)

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müsse formelle und materielle Verfassungsgesetze unterscheiden. Materiell 
sei Verfassungsgesetz jedes Gesetz, das sich auf die Ordnung unmittelbar 
der Herrschaft bezieht, also Innehabung, Erwerb, Verlust der Herrschaft, 
Thronfolge, Rechte und Vertretung des Herrschers, Beschränkung desselben 
in Ausübung der Herrschaft betrifft. Gewiß ist auch P. der Meinung, daß 
nicht alle materiellen Verfassungsgesetze auch solche formellen Sinnes sind, 
sondern daß unter den formellen Verfassungsbegriff nur fallen die Ver- 
fassungsurkunde, die älteren Gesetze, die zu ihrem Bestandteil erklärt sind, 
und die späteren Gesetze, denen die Eigenschaft von Verfassungsgesetzen 
beigelegt ist, aber PıLoTY behauptet, für die ausnahmsweise Eigenschaft 
eines Gesetzes als Verfassungsgesetz spreche eine sichere Vermutung, näm- 
lich dann, wenn sein Inhalt materielles Verfassungsgesetz sei. Er weicht 
dadurch von SEYDEL ab, der in der 2. Aufl. Bd. II S. 324 schreibt: für die 
ausnahmsweise Eigenschaft als Verfassungsgesetz spreche keine Vermutung. 
SEYDEL hat nach meinem Dafürhalten recht. 
Abweichend von SEYDEL bestimmt PıLoTy auch das Verhältnis des 
Herrschers zum Staat. PıLoTY erblickt in der Herrscherstellung nicht nur, 
wie SEYDEL eine Tatsache, eine Macht, sondern wenigstens, was den ver- 
fassungsmäßigen Herrscher angeht, auch ein Recht (I 80, 212). Der kon- 
stitutionelle Herrscher steht ihm nicht außerhalb der Verfassung ($. 213) 
und deshalb bezeichnet er auch nicht, wie SEYDEL, den König von Bayern, 
sondern Bayern als Bundesglied des Deutschen Reiches (S. 71, 72). 
Was die rechtliche Beziehung zwischen Einherrscher und Landtag an- 
geht, so bekennt sich P. zu der Auffassung, daß auch dann, wenn der König 
nicht Subjekt, sondern Organ des Staates ist, er doch über dem Landtage 
steht. Der Herrscher ist das höchste Staatsorgan und ein Organ von ihm 
und unter ihm das Parlament (S. 215). Wie er es begründet, sagt P. nicht, 
offenbar ebenso, wie SEYDEL (8.216), d. h. mit dem Satze, der Landtag 
wird durch den Monarchen in Tätigkeit und außer Tätigkeit gesetzt. Allein 
kann der Herrscher den Landtag abschaffen, was doch auch ein Außer- 
tätigkeitsetzen ist? Mit Schärfe betont P. andererseits, daß in Bayern recht- 
lich nicht parlamentarische Regierung gilt: der Landtag ist nicht das Or- 
gan der politischen Parteien; diese stehen nicht über dem Landtage; sie 
sind staatsrechtlich gleichgültige politische Gebilde (8. 215). 
Schade ist, daß P. nicht mehr in der Lage war, das neue Regent- 
schaftsgesetz zu würdigen. Es hat interessante Fragen gezeitigt. Ich will 
nur zwei erwähnen. Erstens die Frage des Rechtstitels, auf Grund dessen 
der neue König herrscht, wenn die Regentschaft für beendigt erklärt wird. 
Man muß da hübsch verschiedenes auseinanderhalten. Einmal: wodurch 
wird der neue Herrscher König ? und: in wessen Namen herrscht er? Das 
eine ist die Frage nach dem Rechtstitel, das andere die nach der Rechtsart 
der Herrschaft. Dort handelt es sich um den Rechtsgrund, hier um die 
Rechtsnatur der Herrscherstellung. Dort ist die Erage: erwirbt er die
	        
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