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örtert unter den Rubriken: Reich, Volk, Gesellschaft und Staat im engeren
Sinne (Verfassungsform). Die auswärtige Politik folgt jeweils auf diese vier
Abschnitte gleichsam als Resultante der in ihnen aufgezeigten Kräfte. In
diesen offenbart sich das Wesen der Staaten, die von KJELLEN „vor allem
als Lebensformen“ begriffen werden, wie schon RAnKkE von „Leben her-
vorbringenden, schöpferischen Kräften, moralischen Energien,“ die wir in
der Entwicklung der Staaten und Völker erblicken, gesprochen hatte.
, Darum mußte die Untersuchung „streng genetischen Charakter“ haben.
Das Buch zerfällt, wie der Titel erraten läßt, in acht Abschnitte gemäß
der Zahl der heute als solche anerkannten sogenannten „Großmächte®.
Doch werden nur England, Rußland, Deutschland und Frankreich als pla-
netarische oder Weltmächte gewertet, während Oesterreich, Italien,
Japan und die Vereinigten Staaten rein formell als Mächte niederer Ord-
nung, als lokale Großmächte bezeichnet werden, weil sie jeweils
bei einer der „Sechsmächtekombinationen“ vom Jahre 1912 (in China und
der Levante) nicht beteiligt waren, eine Rangeinteilung, die vom Vf. unter
anderen Gesichtspunkten aber erheblich modifiziert wird, wie wir am Schlusse
sehen werden.
In äußerst prägnanter, die Probleme nur so häufender und dabei doch
höchst anschaulicher Weise meistert KJELLEN den überreichen Stoff, der
ihm durch frühere ausgedehnte Studien (STORMAKTERNA [Die Großmächte]
I—IV 1911—13) vertraut ist. Den Inhalt der hier zusammengerückten
Fragen auch nur vollständig anzudeuten, würde den Rahmen einer Be-
sprechung weit übersteigen; es kann sich nur darum handeln, einige be-
sonders interessante, auch im Zusammenhange der gegenwärtigen Weltlage
wichtig erscheinende Punkte herauszuheben und auf etwa hie und da vor-
kommende Irrtümer oder sich erhebende Bedenken aufmerksam zu machen.
Dies letztere aber, wie ich ausdrücklich bemerken möchte, nicht in dem
Bestreben zu kritisieren, sondern um das wirklich vortreffliche Büchlein
noch vollkommener zu gestalten.
Kr. beginnt mit Oesterreich als „der ältesten unter den heutigen
Großmächten Europas‘, eine Bezeichnung, die auf den Habsburgerstaat zu-
trifft, nicht dagegen auf die „Donaumonarchie“, deren Ursprung doch erst
seit dem Sturze der türkischen Macht in Ungarn (Ende des 17. Jahrh.),
gerechnet werden kann, worauf schon RAnkE a.a.0. Wert legt. In diesem
Sinne würde der alte Kaiserstaat als moderne Großmacht gleichzeitig mit
Rußland und Preußen und später als sein alter Rivale Frankreich auftreten,
Vf. teilt über die Lebenskraft des österreichischen Staatswesens die pessi-
mistische Ansicht, wie sie sich vor dem Kriege allgemein verbreitet fand.
Wie wahr aber andererseits seine Bemerkung, „das serbische Problem
wachse zu weltgeschichtlichen Dimensionen an“, werden sollte, hat er
selber nicht ahnen können.
Verhältnismäßig kurz und ungünstig wird auch Italien besprochen.