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Unterlassung dadurch nicht ausgeschlossen wird, daß der Täter
nach seinem Gewissen oder den Vorschriften seiner Religion
— hier liegt meist der Grund zur Eidesverweigerung — sein
Verhalten für geboten erachtet. Bei Mennoniten und Philipponen
ist die Eidesverweigerung sogar gesetzlich sanktioniert. Dies
Vorgehen erscheint aus religiöser Rücksichtnahme praktisch ge-
boten, kann aber nicht als Beweis dafür gebraucht werden, daß
der Eid nichts bedeute als eine leere Form, und noch weniger;
daß die im Eid genannten Pflichten darum keine Rechtspflichten
seien. Eine Kaution — und der Eid ist die höchste Kaution
neben Bürgschaften, Verpfändungen, Vertragsstrafen usw. —
wird dadurch nicht zur leeren Form, daß sie in einzelnen Fällen
nicht verlangt oder erlassen wird; und die Pflichten, die der Eid
bekräftigt, wären auch dann Rechtspflichten, wenn sie nicht, wie
beim Fahneneid, noch anderweit gesetzlich normiert wären, dann
freilich nur für den, der sie im Eid übernommen.
Falsch ist nach alledem die oft gehörte Behauptung der
pretentiösen kleinen Schrift „Der Fahneneid im Konfliktsfall“,
deren anonymer Verfasser erklärt °*: „Der Eid ist schon deshalb
in seiner rechtlichen und moralischen Verbindlichkeit fraglich,
weil er nicht freiwillig geleistet wird, sondern geleistet werden
muß“; unrichtig auch die Darstellung TuupicHuns ®, daß der
Eid auf Staatsgewalt beruhe und die Verweigerung Öffentliche
(doeh wohl höchstens disziplinarische) Strafe nach sich ziehe.
Vielmehr besteht die Möglichkeit, durch angemessene Erklärung
stichhaltiger Gründe den Eid straflos zu verweigern. Uhnrichtig
ist aber auch die Auffassung, „daß die Ableistung des Eides von
jedem angenommen wird, der dabei zugegen war“, wie V. ESTORFF °
sag. Wohl mag man den, der nicht mitgesprochen, aber die
Eidesleistung auch nicht ausdrücklich verweigert hat, so be-
ss S, 17.
55 THUDICHUM a. a. OÖ. S. 1.
56 v, ESTORFF a. a. O. S. 2.