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Man hat wohl die Klausel, ohne weiter zu unterscheiden, aus
einem Abkommen ins andere übernommen.
Anders sieht nun freilich die Sachlage aus, wenn man sich
auf den Standpunkt der beiden verbündeten Gegner stellt: wenn
eine Vertragsmacht, die im Kriege mit einer anderen Vertrags-
macht steht, sich mit einer Nichtvertragsmacht verbindet, so wird
sie dadurch ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen gegen ihren
Gegner ledig. Diese Wirkung der Klausel läßt sich durch jene
Erwägung nicht mehr rechtfertigen, denn es ist immer möglich,
daß die eine Macht, die Vertragsmacht, sich bei ıhren Hand-
lungen innerhalb der Schranken des Abkommens hält, während
die ihr verbündete Macht das nicht tut. Es liegt auch sonst
kein Grund vor, die Vertragsmacht deshalb, weil sie sich mit
einer Nichtvertragsmacht verbündet, der völkerrechtlichen Bindung
ledig zu machen. Indes diese zweite Folgerung erklärt sieh da-
durch, daß sie die notwendige Kehrseite der ersten darstellt: weil
nach der ersten Folgerung der Vertragsstaat, der einem Vertrags-
staat und einem Nichtvertragsstaat gegenübersteht, beiden gegen-
über nicht gebunden ist, sind es auch wegen der Gegenseitigkeit
jeder völkerrechtlichen Bindung ihm gegenüber beide nicht.
Uebrigens hat, auch noch über die dargelegten sachlichen
Erwägungen hinaus, ein anderer Gedanke bei der Schaffung der
Klausel mitgewirkt. In dem „Rapport“, den RENAULT auf der zweiten
Haager Tagung erstattet hat, heißt es°, der Grundsatz der Gegen-
seitigkeit der völkerrechtlichen Bindung sei nicht bloß in sich ge-
recht, sondern seine Anwendung habe auch den Vorteil „de faciliter
l’extension des Conventions en augmentant ]’ interöt que tous les
Etats peuvent avoir & y adherer“. Man wünschte selbstverständ-
lich, daß möglichst viele Staaten sich den Abkommen anschlössen.
Inwiefern wird diese Ausbreitung der Ahkommen durch die Klausel
gefördert? Gemeint sein kann nur: jeder Staat hat ein Interesse
6 „Deuxiöme conference“ I S. 344.