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Literatur.
Amtsgerichtsrat Dr. L. Levin. Richterliche Prozeßleitung
und Sitzungspolizei in Theorie und Praxis. Berlin
1913. Verlag von Otto Liebmann. XVII und 285 8.
Unter den Einzeldarstellungen im Gebiete des geltenden Zivilprozeß-
rechts nimmt diese Schrift eine ähnliche Stellung ein wie SteIns Privates
Wissen des Richters oder SCHNEIDERs Richterliche Ermittelung des Sach-
verhalts. Sie erfüllt zu einem guten Teil den Wunsch, dem mit andern
Prozessualisten ich im Vorwort zu meinem „Imperium des Richters“ Aus-
druck gegeben habe: wir möchten durch eingehende Beschreibung der
deutschen Prozeßpraxis gerade an den Punkten, wo die gesetzliche Rege-
lung den Gerichten und Anwälten weiteren Spielraum läßt, erst in Stand
gesetzt werden, das wirkliche Verfahren auf seine Verbesserungsbedürftig-
keit zu prüfen; mit der Kritik des Gesetzestextes und dem Aufstellen all-
gemeiner Postulate wie Beschleunigung, mehr Mündlichkeit, strengerer
„Wahrheit“ im Zivilprozeß sei erst das Wenigste getan. Auch Levıns
Schrift zeigt wieder auf Schritt und Tritt, wie viel an der Handhabung
des Gesetzes liegt und wie stark und vielfältig im Grund die Mittel zu
einer vernünftig-kräftigen Prozeßleitung sind, die es dem Richter zur Ver-
fügung stellt. Freilich muß man sich dabei immer gegenwärtig halten,
daß hier der Praktiker eines Gerichts mit großstädtischem Betrieb spricht,
der zudem ein Jurist von trefflicher theoretischer Schulung ist. Vielleicht
ist es ein unmögliches Verlangen, aber immer wieder ist mir beim Studium
der Schrift der alte Wunsch gekommen: hätte ich doch daneben die Dar-
stellung der richterlichen Prozeßleitung wie sie ist und wie sein soll an
einem ländlichen Amtsgericht in einer Gegend wenig entwickelter Volksbil-
dung und etwanoch an einem Landgericht einer Mittelstadt, beides von einem
ebenso erfahrenen Praktiker und verständigen Rechtspolitiker wie LEvIn
einer ist. Aber dieses Bessere, das uns die Zukunft bringen möge, soll
nicht der Feind des gegenwärtigen Guten sein. Es ist dankbar anzuer-