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sich aus den Tatsachen wie von selbst formen läßt und erst im Anhang
eine kritische Auseinandersetzung mit abweichenden älteren Meinungen
über SCHLOSSERS Stellung zur historischen Schule und seinen Charakter
gibt. Ebenso lebendig werden die Gestalten Karl Friedrichs und seiner
Räte. Aber noch größer als dieser biographisch-geschichtliche ist der sach-
liche Gewinn, den die Schrift für Gerichtsverfassung, Justizverwaltung und
Prozeß überhaupt bringt. Der Verfasser hat hier ein reiches unbenütztes
Material im Karlsruher Archiv vorgefunden und hat es musterhaft ver-
wertet. Drei Abschnitte sind von einer für die Gegenwart besonders intensiven
Bedeutung: die Darstellung der juristischen Ausbildung mit den Univer-
sitätsplänen, den Widerständen gegen die gelehrte’ Bildung, dem Einfluß des
Adels in der Beamtenschaft und schließlich der Drückung des Anwaltstands,
8. 31 fg.; die Einrichtung und das unglückliche Schicksal der höchst eigen-
tümlichen „Konsultationsdeputation®, die, im Jahre 1782 von Karl Friedrich
auf Anraten seines Hofgerichts geschaffen und vor allem zur Beratung der
Parteien über die Aussichten eines Rechtsmittels und zur Auswahl als ent-
scheidende Instanz neben den Untergerichten berufen und aussichtsreich
beginnend, im Kampf mit der sich wehrenden Selbständigkeit der Unter-
gerichte bald zu grunde ging, S. 98 fg.; endlich die Kämpfe der Richter,
und unter ihnen besonders SCHLOSSERs, mit den Versuchen der Kabinetts-
justiz S. 165 fg. Damit ist das wichtigste angedeutet, der Inhalt aber
keineswegs erschöpft; ich will nur noch die Geschichte der Kodifikationen
(mit dem merkwürdig unmittelbaren Einfluß BEccArRIAs auf die Strafjustiz),
die Notizen über das Pressen in der Zivilvollstreckung, über das Jaunerwesen
und den Strafvollzug im Pforzheimer Zuchthaus unter der Leitung des vor-
trefflichen REINHARD nennen.
Mendelssohn Bartholdy.
Hans Reichel. Gesetz und Richterspruch. Zur Orientierung
über Rechtsquellen- und Rechtsanwendungslehre der Gegenwart.
Zürich 1915. Verlag Art. Inst. Orell Füßli. 155 S. Broch. 5 M.
gebdn, 6 M.
ReıcHEıs Beitrag zu der großen Kontroverse des Freirechts zeichnet
sich vor anderen Schriften gleichen Gegenstandes dadurch aus, daß er seine
auf Grund genauer und gut diskriminierender Literaturübersicht gewon-
nenen Sätze an Beispielen erläutert, die den lebendigsten Teilen des gel-
tenden Rechts entnommen sind. Selbst die Kriegsgesetzgebung ist ihm
schon dafür dienstbar geworden, und es ist eine eigentümliche Erscheinung,
daß fast alles, was er aus den deutschen Notgesetzen entwickelt, auch für
die in der Technik ja völlig verschiedene englische Kriegssatzung gelten
könnte. Von einzelnen treffenden Bemerkungen möchte ich die Verteidi-
gung der romanistischen Wissenschaft S. 35, die Kritik der Richterbund-
und Anwaltstagsbeschlüsse $. 53 fg. und die Betonung des Gegensatzes