Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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Pasquale Fiore, Il diritto internazionale codificato e la 
sua sanzione giuridica. 5% Ediz. ampl. Torino Unione Tipo- 
grafico-Editrice Torinese 1915. VII und 999 S. 
Diese fünfte Auflage des berühmten Werkes ist gegenüber der vierten 
nicht erheblich geändert. Die Haager Konferenz von 1907 war schon in 
dieser vorigen Ausgabe, die dem Ganzen gründliche Umgestaltung brachte, 
berücksichtigt; der Krieg aber hat bei der fünften Auflage noch nicht mit- 
gesprochen. Sie trägt noch das friedliche Motto Mirabeau’s vom Recht, 
das dereinst der Souverän der ganzen Welt sein wird. FıioRe denkt an das 
Völkerrecht; seine Landsleute haben sich inzwischen deutlichst zu der An- 
schauung bekannt, daß dieses internationale Recht nicht bloß in der Luft 
steht soweit es der Sanktion im einzelnen Staat ermangelt, sondern daß 
es auch zu schweigen hat, wo „nationale Aspirationen“, die mit dem Recht 
nichts mehr zu tun haben, das Wort führen. Immerhin ist das große 
Völkerrechtswerk des Italieners für den jetzigen Krieg als eine Zusammen- 
fassung der romanischen Jurisprudenz mit starkem anglo-amerikanischem 
Einfluß von Bedeutung. Deutsche Völkerrechtslehre kommt darin fast gar 
nicht zur Geltung, es sei denn mittelbar soweit sie sich in den Beschlüssen 
der Haager Konferenzen durchgesetzt hat; unter den großen systematischen 
Werken, die FIORE selbst als seine Hauptquellen anführt, figurieren immer 
noch HeErFFTER und BLUNTSCHLı als die einzigen Deutschen — weil ihre 
Werke ins Französische übersetzt sind. Andererseits ist auch der englische 
Einfluß noch nicht im Entferntesten so stark, wie er durch den Krieg ge- 
worden ist. In all den Fragen, in denen die anglo-amerikanische Auffas- 
sung gegen die kontinentale stand, insbesondere in der Frage des Handels 
mit dem Feind und überhaupt in der Gestaltung des Kriegs als Handels- 
krieg, nimmt FioRE ganz selbstverständlich den Standpunkt des Kontinen- 
talen ein. 
Er läßt (n. 1420) den Krieg als letztes Mittel des Rechtsschutzes zu, 
wenn andere Mittel vergeblich versucht wurden, oder wenn, nach der Natur 
der Sache oder den besonderen Umstände des Falles, die Notwendigkeit un- 
verzüglichen Handelns gegeben ist: die zweite Alternative deckt vollkommen 
die deutsche Kriegserklärung an Rußland, während bekanntlich England 
behauptet, wir hätten auf einen Konferenzvorschlag eingehen müssen. 
Als unmittelbare Folge des Kriegs betrachtet Fiore den Eintritt des 
Kriegsvölkerrechts und die Erlaubtheit der Gewalt gegenüber Personen, 
die an der Kriegführung teilnehmen und, im Rahmen der Kriegführung, 
gegenüber dem Eigentum des Feindes (n 1434, 1435), während er ausdrück- 
lich das Erlöschen der Staatsverträge (und natürlich a fortiori der privat- 
rechtlichen Verträge) zwischen den Feinden als unmittelbare Kriegswirkung 
ablehnt (n. 1434). Hierin liegt der schärfste Gegensatz zur anglo-amerika- 
nischen Grundauffassung, die erstens jeden Angehörigen des feindlichen 
Staats, auch den nicht an der Kriegführung teilnehmenden Bürger, Frauen
	        
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