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zwei einzelne Staaten beschränke, könne nur als eine Vorstufe
anerkannt werden. Eine solche Lage der Dinge sei ebenso unbe-
friedigend, wie es sein würde, wenn innerhalb eines Staates die
streitenden Parteien darauf angewiesen wären, sich freiwillig über
eine schiedsgerichtliche Entscheidung zu verständigen, oder wenn
die Gerichte nur für bestimmte Gruppen von Staatsbürgern be-
ständen. Die höhere Einheit des Menschengeschlechtes, die trotz
aller Differenzierung und Zerlegung in einzelne Völker vorhanden
sei, erfordere eine Organisation, die der des Einzelstaates nach-
gebildet sei. Sie müsse darin bestehen, daß Streitigkeiten vor
Organen zur Entscheidung gelangten, die im voraus für alle vor-
kommenden Fälle und für alle Staaten gebildet und so zusammen-
gesetzt seien, daß sie eine Gewähr für eine dem sittlichen Recht
entsprechende Entscheidung böten. Sei diese Vorbedingung er-
füllt, so dürfe darauf gerechnet werden, daß der Staat, gegen den
die Entscheidung ausfalle, sich ihr ohne Widerspruch unterwerfe.
Sollte das aber nicht geschehen, so müsse der Staatenbund die
Durchführung des abgegebenen Spruches mit Gewalt erzwingen.
IV.
Gegen diesen Gedankengang sind eine Reihe von prinzipiellen
und praktischen Einwendungen erhoben.
In erster Linie wird geltend gemacht, es sei unzulässig, das
Verhältnis zwischen mehreren Staaten auf dieselbe Stufe zu stellen
mit demjenigen der Untertanen eines Staates untereinander. Ueber
diesen stehe eine von ihrem Willen unabhängige Gewalt, die ihre
Befugnis, Streitigkeiten zu entscheiden, nicht von der Zustimmung
der Streitenden, sondern aus eigenem Rechte herleite und die
außerdem die Macht besitze, die Befolgung ihrer Anordnungen
zu erzwingen. Beides treffe nicht zu für selbständige Staaten in
ihren gegenseitigen Beziehungen. Insbesondere sei es ausge-
schlossen, daß, wenn große Mächtegruppen untereinander in einen
Gegeisatz gerieten, die kleinen Staaten imstande wären, einen