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man einen Rechtszustand, wie er heute besteht, für ebenso utopisch
gehalten haben, wie dies in der Gegenwart gegenüber den Be-
strebungen der Friedensbewegung geschieht. Gewiß sind die Ver-
hältnisse innerhalb eines einzelnen Staates von den internationalen
Beziehungen wesentlich verschieden, aber der Grundzug der Ent-
wicklung zeigt sich doch auch hier. Galt es bei den Naturvölkern
als selbstverständlich, daß Kriege lediglich zum Zwecke des Beute-
machens unternommen wurden, war im alten Rom der Kriegszu-
stand der normale, so daß es eine Ausnahme darstellte, wenn der
Janustempel einmal geschlossen war, bildeten bis in die neuere
Zeit hinein Kabinettskriege, die aus den persönlichen Launen der
Fürsten entsprangen, die Regel, fehlte also dem Kriege fast immer
eine ihr bis zu einem gewissen Grade rechtfertigende prinzipielle
Grundlage, so ist das heute bereits wesentlich anders geworden.
Im allgemeinen entsteht ein Krieg dadurch, daß große welt-
geschiehtliche Gegensätze aufeinanderstoßen, und daß des-
halb beide Parteien das Gefühl haben, für eine gerechte Sache
zu kämpfen.
Aber gerade in dieser Beziehung muß gegen die Friedens-
bewegung ein Vorwurf erhoben werden, nämlich daß sie durch
einen an sich anerkennenswerten Idealismus verleitet wıra, dieses
relative Recht der modernen Kriege nicht ausreichend zu wür-
digen. Auf der anderen Seite zeigt jedoch die angedeutete Ent-
wicklung auf dem Gebiete des Krieges im Sinne des Friedens-
ıideals eine gewisse aufsteigende Richtung, die es nicht als unge-
rechtfertigt erscheinen läßt, einen weiteren Fortschritt von der
Zukunft zu erhoffen. Hat die Bewegung sich ein zu hohes Ziel
gesteckt, so soll man sie nicht darum grundsätzlich bekämpfen,
sondern es als Aufgabe ansehen, eine Klärung herbeizuführen
und auf eine etwaige durch sie gebotene Einschränkung des Pro-
grammes hinzuwirken.