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sätze als selbstverständlichen Willen des Staates, so wırd
hiedurch im praktischen Erfolge die Kluft zwischen der Gesetzes-
staatstheorie und der Lehre von der freien Rechtsfindung erheb-
lich verengert.
Ob ich die Zulässigkeit der Auslegung von Verfassungs- und
Verwaltungsgesetzen aus dem Wesen des Gesetzes, als unver-
meidlich unvollkommenen Ausdrucks des Willens des Staates °,
die Ausnahme der Truppenmärsche von den gesetzlichen Bestim-
mungen über öffentliche Aufzüge, des militärischen Brückenschlags
von den Bestimmungen des Wasserrechtsgesetzes als mit der Ein-
richtung des Heerwesens vom Staate gewollt, somit von ihm
selbst als rechtmäßig erklärt oder mittels freier Rechts-
findung als rechtmäßig befunden und’erkannt betrachte, bleibt
sich im praktischen Effekte gleich, wenn über die Beantwortung
dieser Rechtsfragen Einigkeit besteht. Die Gesetzgebung selbst
operiert mit Selbstverständlichkeit, wenn sie beispielsweise
wie $ 56 des österr. Einquartierungsgesetzes vom 25. Juni 1895 RGBl.
Nr. 100 der Heeresverwaltung das nirgends festgesetzte Recht
der Benützung von Grundflächen zu Schießübungen wahrt, wenn
sie die Einquartierungslast aus Anlaß von Truppenmärschen, wenn
sie Schadenersatzansprüche aus Feldbeschädigungen infolge mili-
tärıscher Uebungen regelt, ohne an irgend einer Stelle Märsche
und Uebungen für rechtmäßig und zulässig zu erklären. Praktisch
ist die Annahme eines selbstverständlichen Staatswillens durch die
Gestaltung des konstitutionellen Lebens zu einer außerordentlichen
Tragweite gelangt. Wo die konstitutionelle Gesetzgebung, wie
dies beispielsweise in Oesterreich der Fall ist, sich mit der bloßen
Aufstellung des Grundsatzes begnügt hat, daß jede Rechtsverord-
nung auf einer gesetzlichen Ermächtigung gegründet sein müsse,
ohne gleichzeitig zu einer durch die Unentbehrlich-
2 Vgl. KeLsen, Hauptprobleme des Staatsrechts (1911) S. 508, 510, 513,
OrTo MAYER, Deutsches Verwaltungsrecht I (1895) S. 79.
® WALTER JELLINER a. a. O. S. 162.