Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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zu dessen Bildung zurückgeführt werden kann, dennoch als 
stillschweigend vom Staat gewollt behandelt‘ So 
eröffnet auch sie einen weiten und bedeutsamen Raum für die 
Geltung eines nicht ausdrücklich erklärten sondern nur zu er- 
schließenden staatlich normierenden Willens. 
III. Empirisch zeigt uns der Staat in historischen Epochen 
seiner Entwieklung einen äußerst geringen Vorrat an 
Festsetzungen rechtlichen Inhalts oder an Gesetzen. 
Von ihnen gilt der Satz des Tacitus: plus valent boni mores 
quam bonae leges. Die Aufstellung des Maßes und die Messung 
erfolgt unter Einem oder das Maß des Falls wird im Einzel- 
fall erst aus sittlichen, ethischen, politischen Gesichtspunkten ge- 
wonnen. Es ist die Epoche des Gesetzes in Urteils- 
form. In der Entwicklung des durch eigene Behörden heraus- 
zubildendenDisziplinar-, Standes-, Berufspflichten-Ehrenrechtes be- 
sitzen wir ein modernes Analogon derartiger aus Anlaß des 
Einzelfalles aufgestellter Normen a posteriori. Jeder 
muß selbst wissen, was seine Pflicht ist. Unkenntnis der nirgend 
geregelten Pflichten entschuldigt ebensowenig als Unkenntnis des 
Gesetzes. 
Der ständisch-monarchische Staat entbehrt eines kodifizierten 
Verfassungsrechts nach Art jenes der kontinentalen konstitutio- 
nell-monarchischen Staaten. Die bedeutsamsten Sätze des modernen 
englischen Staatsrechts sind nicht kodifiziert. Auch die Zu- 
lässigkeit der Bildung des@Gewohnheitsrechtsist 
nicht kodifiziert. Positives Verfassungsrecht entsteht im 
ständisch-monarchischen Staate durch einseitige, nicht publizierte 
Akte des Monarchen, durch Instruktionen, Verwaltungsverordnungen, 
Vollmachtserteilungen, wofür die Geschichte der österreichischen 
Gesamtstaatsidee Beispiele von epochaler Bedeutung bietet, durch 
Verträge der Fürsten mit den ständischen Korporationen, endlich 
* KELSEN a. a. OÖ. S. 100 ff.
	        
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