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Wir haben in Oesterreich sogar geheimes und doch verbindliches
Hausrecht der Dynastie. Nirgends steht geschrieben, daß in dieser
Form der staatliche Wille mit autoritativer Wirkung erklärt seı,
nirgends daß über die Formen seiner Kundgebung auch Gewohn-
heitsrecht entscheide. Da entsteht nun die Frage: War das, was
hier geschildert wurde und was mit seinen Folgen bis auf unsere
Zeit fortdauert, kein Recht, und ıst es, trotzdem es wie Recht
geübt wird, Unrecht, scheidet es als Nicht-Recht aus dem
Rahmen rechtsgeschichtlicher und juristisch-praktischer Betrach-
tung aus, weil es nicht auf vorangegangene Normen rück-
führbar ist, die den angeführten Akten den Charakter staatlicher
Normen aufprägen oder weil. wie in den Fällen der Erledigung
ständischer Beschwerden, als bestehendes Verfassungsrecht erklärt
wird, was vor der Erlediguug oder vor der Entscheidung noch
nicht ausgesprochenes Verfassungsrecht war?
Das Gegenstück zum Gesetz in der Form des Dekretes oder
der Gesetzesanwendung ist das Dekret in Gesetzesform. Beide
kommen im Effekte der Inappellabilität ebenso wie auch darin
überein, daß sie sich gegen die Einreihung in das System des
Gesetzesstaates sträuben und dennoch reale Erscheinungen des
Rechtslebens sind. In der englischen Bill of attainder, der straf-
rechtlichen Verurteilung in Gesetzesform, in dem mit Gesetzeswir-
kung ausgestatteten Urteil im Lippeschen Erbfolgestreite sind
Norm und Anwendung nicht zu trennen.
Eine gleichfalls nicht in das System des Gesetzesstaates pas-
sende Erscheinung ist das Indeminitätsgesetz. Nicht nur, daß es
dem kodifizierten konstitutionellen Verfassungsrecht unbe-
kannt ist, stellt es das Wesen des Gesetzesstaates auf den Kopf,
wenn es nach rückwärts anordnet, daß ein Vorgang als
rechtmäßig angesehen werden soll, trotzdem er dem Rechte, unter
dessen Herrschaft er sich vollzog, widerspricht °.
5 Es kann darum als juristische Lösung des Problems der Funktions-
unfähigkeit des böhmischen Landtags und des Zerfalls des Landesaus-