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belangt, so gibt es keine Norm, die das Denken desjenigen, der
sie ausführen und der sie befolgen soll, in eine gebundene
Marschroute dirigieren könnte®. Im Hinblick auf „das Unver-
mögen der Sprache, für alle Abstufungen der Quantität und Qua-
lität eine passende Bezeichnung zu bieten“, ist auch die Auslegung
des Ausdrucks des gesetzgeberischen Willens nichts als Befolgung
der ganz allgemeinen somit unbestimmten Weisung, von
allen Deutungsmöglichkeiten die beste zu wählen ohne Beigabe
eines leicht zu handhabenden Maßes für diese Wahl, und darum
Ermessen. Wir leben darum auch innerhalb des Ge-
bietes dersogenannten gebundenen Rechtsprechung
in nicht unerhebliehem Umfange unter der Herrschaft der
mit Sicherheit nicht voraussehbaren Norm a posterior. Es man-
gelt an sicher leitenden Regeln der Rückführbarkeit einer Ent-
scheidung auf das Gesetz, das sie anzuwenden vorgibt. Die Norm
ist somit ein technisch ganz unzulängliches Ma& für die Recht-
mäßigkeit nicht nur des Tuns und Lassens des Einzelnen, sondern
auch der vollzogenen autorativen Beurteilung dieses Tuns und Lassens.
Dieses Maß verändert sich nach der Individualität des
Messenden. Wer den Richter von seiner richterlichen Tätig-
keit her genau kennt, der Amtsgenosse, wird den Ausgang eines
Prozesses, bei dem es nur auf die Rechtsfrage ankommt, mit
einem ungleich höheren Grad vorausbestimmen als der geschick-
teste Anwalt, der dem Richter zum erstenmal gegenübertritt und
in dieser Hinsicht nicht orientiert ist. Welche Stellung die
österreichischen Gerichte zu den durch die parlamentarische Ob-
struktion hervorgerufenen Staatsakten einnehmen würden, war im
Hinblick auf ihre mit den politischen Verhältnissen
Oesterreichs zu erklärende Prüfungsscheu gegenüber
8 TEZNER, Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden als Grund der
Unzuständigkeit der Verwaltungsgerichte (1888) 8. 14. Ebenso KrLsen
a. a. 0. S. 505.
® TEZNER a. a. O. S. 39f., S4f.