Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

— 338 — 
philosophie erkennen. Der Rechtsbegriff ist zu bestimmen, die juristischen 
Grundbegriffe zu erörtern; durch Rechtsvergleichung ist der Zusammenhang 
der verschiedenen Rechte, durch soziologische Ausführungen die Stellung 
des Rechts in der (esamtkultur zu erschließen, das Recht als Kulturfaktor 
zu würdigen. 
Das sind alles Fragen des Empirismus. Auch die Bestimmung des 
Rechtsbegriffs? Jede Rechtsphilosophie, gleichgültig, welches Ziel sie sich 
setzt, muß mit der Erörterung des Rechtsbegriffs beginnen. Aber hier schei- 
den sich schon die Geister. Nach den einen ist der Rechtsbegriff a priori 
gegeben, nach den andern empirisch, d. h. aus den positiven Rechtsord- 
nungen durch Abstraktion gewonnen. 
Der Verf. entscheidet sich (8. 29 ff.) für den Apriorismus, den KAnT! 
zu Ehren gebracht und neuestens besonders STAMMLER verteidigt hat: 
Recht, Rechtssubjekt, Rechtsobjekt, Rechtsgrund, Rechtsverhältnis, Rechts- 
hoheit, Rechtsunterstelltheit, Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, vor 
allem aber der Begriff des Rechts selbst werde nicht durch Abstraktion 
aus den einzelnen Rechtserscheinungen gewonnen, sondern hier handle es 
sich um Gesichtspunkte, mit denen man an jedes positive Recht herantrete, 
und die a priori gegeben seien. 
Ich kann dem Apriorismus im Recht nicht zustimmen. Es ist nur 
Täuschung, daß wir die Begriffe von Recht, Rechtsverhältnis usw. ohne 
Induktion gewonnen hätten. Ohne empirische Rechtserfahrung wären wir 
niemals zum Rechtsbegriff gelangt. Trotz des Widerspruchs von HEGEL 
bleibe ich dabei, daß es sich lediglich um eine Abstraktion aus unseren 
empirischen Rechtsvorstellungen handelt. Auch STAMMLER muß es sich 
von BINDER? sagen lassen, daß er schließlich doch auch von empirischen 
Bewußtseinsvorgängen ausgehe und in empirischen Gedankengängen hänge. 
Es gebe keine reinen, d. h. von allem Stoff entkleideten Begriffe, sondern 
diese seien aus formalen und materiellen oder aus apriorischen und 
empirischen Elementen zusammengesetzt. Formal sei nur die Rechts- 
idee, die immer wiederkehrt und von allem Stofflichen befreit, nur ideale 
Geltung habe. Aber Rechtsidee bedeutet bei BINDER nicht etwa das be- 
kannte kantische Rechtsprinzip?, auch nicht den Bewertungsmaßstab für 
1 Dieser meinte: „Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der höl- 
zerne Kopf in Phädrus’ Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur schade, 
daß er kein Gehirn hat.“ Gesammelte Werke (Ausg. Rosenkranz) Bd. 9 
S. 32. 
? „Rechtsbegriff und Rechtsidee“, Bemerkungen zur Rechts- 
philosophie RuDoLF STAMMLERs 1915 S. 22ff. 87. 88. 157. 161. 195. Der 
Bınpersche Rechtsbegriff S. 60. 
® „Das Recht ist also der Inbegrift der Bedingungen, unter denen die 
Willkür des einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Ge-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.