Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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das positive Recht, sondern ein formales Moment, das zu einem materiellen 
hinzutritt, damit wir dieses überhaupt als ein rechtliches erfassen können, 
eine ursprüngliche Funktion unseres Bewußtsein wie die Idee des Schönen 
(S. 195, 228). 
Bei dieser rein formalen Bedeutung der Rechtsidee schrumpft der 
Apriorismus im Recht bedeutend zusammen. 
Dem Menschen ist das Rechtsgefühl gegeben, in welchem die hervor- 
getretenen oder auch nur beabsichtigten Hemmungen und Förderungen des 
persönlichen und Gemeinschaftslebens ihre reinliche Scheidung erfahren 
und durch die Etikette gut oder bös ihre Bewertung finden. Dem Menschen 
ist die praktische Vernunft gegeben, die ihn zum Urteil über das Gesell- 
schafts-Schädliche und Nützliche der menschlichen Einrichtungen und Hand- 
lungen befähigt, wobei Erziehung und Erfahrung die Lehrmeister sind. Diese 
Gefühls- und Vernunftwürdigung vollzieht sich vor allem in der rechtlichen 
Beurteilung. 
RADBRUCH, nach dem derRechtsbegriff sich nicht auf Erfahrung gründet, 
findet als „selbstverständliches Resultat seiner umständlichen Deduktion‘“, 
daß das Recht „Gemeinschaftsregelung“ und zwar „Gemeinschaftsregelung 
im Dienste der Gerechtigkeit“ ist (8. 42. 171). Er gibt zu. daß man diese 
Rechtsdefinition mit voller Deutlichkeit aus dem positiven Recht durch Ab- 
straktion gewinnt. Aber so meint er (S. 31), die Art der Philosophie ist 
es nun eben, „noch einmal zur Gewißheit zu bringen, was auf andere Weise 
durch die Aussagen der Erfahrung des sittlichen Bewußtseins, der ästhe- 
tischen Urteilskraft bereits feststeht. Das Resultat, das sie zu erreichen 
hat, ist ihr vorgeschrieben‘. 
Ob diese Verteidigung dem Apriorismus nützen wird? 
Bis jetzt haben noch alle Aprioristen im Recht nach der Methode ge- 
arbeitet, auf dem Weg der Fiırfahrung im Erkenntnisgebiet vorzustoßen und 
dann am guten Ende den aprioristischen Stempel aufzudrücken. Wenn sie 
immer noch halbwegs praktische Ergebnisse erzielten, so geschah das nur, 
weil sie bewußt oder unbewußt der Empirie gefolgt sind. Das apriorische 
Privatrecht von KAnT * und das Naturrecht von WoLFF5 — auch bei KAnTr 
haben wir noch viel Naturrecht — sind ein Beweis dafür, bis zu welchem 
Grad man das positive Recht ausschlachten kann, um dann zu versichern, 
das alles sei a priori gegeben oder auch wirkliches Naturrecht. 
Meurer. 
setz der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ Gesammelte Werke 
(Rosenkranz) Bd. 9 8. 33. 
4 In den „Metaphysischen Anfangsgründen der Rechtslehre‘ (Ausg. 
Rosenkranz) IX 31 ff. 
5 Jus naturae“ 8 Bde 1740—48. 
  
  
Archiv des öffentlichen Rechts, XXXV. 3. 23
	        
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