Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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Die Entstehung der belgischen Neutralität ist eng verknüpft mit der 
politischen Geschichte dieses Staats und diese wiederum mit der geographi- 
schen Lage, der wirtschaftlichen und militärischen Bedeutung des Landes. 
Auf die letztgenannten Faktoren gründet sich das wechselnde und wett- 
eifernde Interesse der großen europäischen Mächtegruppen. Freilich nicht 
in dem Sinne, daß irgend einer dieser Staaten das belgische Gebiet seinem 
Territorium unbedingt hätte einverleiben müssen, vielmehr war es von je- 
her in erster Linie der politische, militärische und wirtschaftliche Ein- 
fluß, um den die hieran interessierten Mächte buhlten. Ihr Interesse 
gipfelte in der Vorsorge, für den Fall eines Krieges mit den Rivalenstaaten 
ein Gebiet zu besitzen, das ihr eigenes Land von den Schäden und Gefahren 
möglichst entlastete, zugleich ihnen aber eine wirksame Unterstützung 
brachte. Diese Momente kennzeichnen die erste Entwicklungssphase der 
politischen Geschichte Belgiens. Auf ihnen fußt das sog. ältere Barriere- 
system. 
Dies erwies sich, wie die weitere Entwicklung zeigt, als unzulänglich: 
es steuerte ebensowenig dem Neide der anderen Mächte, wie die vorüber- 
gehende Vereinigung Belgiens und Hollands; es gewährte jeweils nur einem 
der interessierten Staaten weitgehende militärische Rechte. 
Man griff also zu dem anderen Extrem: den belgischen Staat aus den 
drohenden kriegerischen Konflikten der europäischen Staaten überhaupt 
auszuschalten, man schritt zur Neutralisierung. 
Hierdurch wird die letzte, gegenwärtig ungleich wichtigere Epoche der 
belgischen politischen Geschichte gekennzeichnet. Wie wenig man aber 
mit der Neutralisierung erreichte, hat der Weltkrieg erschreckend deutlich 
gezeigt. Ein anderes Ergebnis war auch kaum zu erwarten. Man bannte 
mit der Neutralisierung das wetteifernde Bestreben der europäischen Staaten, 
sich Belgien dienst- und nutzbar zu machen, keineswegs. Man verschlim- 
merte die Situation nur insofern, als die mit der Neutralisation notwendig 
verbundene Beschränkung des neutralisierten Staats in diesem selbst oppo- 
sitionelle Kräfte wecken mußte, die zu einer Expansion drängten. Die un- 
heilvollen Keime für das Schicksal Belgiens lagen also in seiner Neutrali- 
sierung. 
Hieraus entsprangen die gequälten Bemühungen der belgischen Poli- 
tiker, Militärs und Juristen, Wege zu finden, auf denen man freilich die 
drückende Neutralitätspflicht nicht offenbar zu brechen brauche, durch die 
man aber immerhin sich einige Bewegungsfreiheit schuf. Man begann also 
Konstruktionen aufzustellen, die für die Neutralität zwischen Zeiten des 
Krieges und solchen des Friedens unterschieden, für die letztere aber jeg- 
liche politische und staatsrechtliche Beschränkung der Handlungsfreiheit 
leugneten, Damit erschloß man sich wieder die Mitwirkung bei der Ge- 
staltung und Erhaltung des europäischen Konzerts. England und Frank-
	        
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