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reich nahmen es hin; aber kaum aus Interesse für das Wohl des belgischen
Staats, sondern nur um es zum eigenen Besten auszunützen.
Das Bild, das FRANK von der belgischen Neutralität entwirft, ist des-
halb so klar, weil es mit wenigen Strichen die politische Geschichte und
ihre Entwicklung für diesen Staat skizziert —; in ihnen ruhen die Trieb-
federn für das, was uns als Neutralitätsbruch erschien. Ohne sie begreift
man nur die Hälfte des letzten Geschehens. —
Ihr reiht sich in der Schrift FRAnks eine Darstellung der verschiedenen
französischen und belgischen Auslegungsarten für die belgische Neutralität
und die hieraus resultierenden Pflichten an. Hier zeigt sich, was wir oben
bereits andeuteten: unterstützt durch die Juristen und Militärs verfolgt die
Regierung das Ziel, ihre Handlungsfreiheit auszudehnen. So gelangt man
zu dem Schluß: die Neutralisation bindet nur für den Krieg, nicht aber
während der Zeit des Friedens. Daß man demgegenüber mit FRANK von
vorneherein im Ergebnis übereinstimmt, daß eine solche Auslegung des
Neutralisationsvertrages den Sinn desselben auf den Kopf stellt, bedarf
kaum weiterer Ausführung. Nur dürfte überhaupt die ganze Unterschei-
dung zwischen Krieg und Frieden in dieser Frage fortfallen. Die Pflicht
zur Neutralität, die aus der Neutralisierung folgt, ist eine allgemeinere!
So sehr es geradezu falsch ist, die Neutralitätspflicht auf die Zeit des
Krieges zu beschränken, so wenig braucht man zu betonen, daß sie auch
für den Frieden besteht. Sie dokumentiert sich einfach als die allgemeine
Verpflichtung, jegliche Unternehmung zu unterlassen, die für den Fall
eines Krieges als Neutralitätsverletzung anzusehen oder hierauf gerichtet
ist. Der Krieg spielt in dieser Frage nur insofern eine Rolle, als mit seinem
Beginn die Entscheidung zum Zuge kommt, ob der neutralisierte Staat eine
Neutralitätsverletzung wirklich beging oder nicht.
Die prinzipiellen Ausführungen FRANKs beruhen für die behandelte
Materie auf der allgemeinen wissenschaftlichen Meinung. Sie sind kritischer
Natur nur, soweit es der Widerlegung der unhaltbaren, tendenziös-politi-
schen Auslegungen für die Neutralitätspflicht Belgiens bedarf. Ihnen ist
auch insoweit ausnahmslos zuzustimmen : sie führen vom wissenschaftlichen
Standpunkt die moderne französisch-belgische Anschauung von der belgi-
schen Neutralität ad absurdum.
Das Bedeutsame der FrAnk&schen Arbeit liegt in dem auf historisch-
wissenschaftlicher Grundlage strikt geführten Nachweis, daß nicht das
Deutsche Reich, sondern Belgien einen Neutralitätsbruch beging, der frei-
lich erst mit Beginn des Weltkrieges in die Erscheinung trat. Daß FRANK
hierfür nicht das gesamte Material heranziehen konnte, das jetzt vielleicht
vorliegt, beeinträchtigt den Wert der Arbeit keinesfalls.
Bremen. Dr. jur. Alexander Lifschütz.