tungen gelten nach Völkerrecht insofern, als sie gewohnheitsmäßig t at-
sächlich eingehalten werden usf. Auf diese Weise gelangt er z. B. zu
dem Satze: „Staatsverträge sind somit für Oesterreich nach Völkerrecht
gültig abgeschlossen mit der Uebermittlung des Versprechens des Kaisers
oder der Regierung an den anderen Vertragsstaat“ (S. 49). (Nachzutragen
ist, daß der Autor das juristische Wesen des völkerrechtlichen Vertrages
in einem Versprechen erblickt; S. 41). Was heißt das aber nun: „für
Oesterreich“? Soviel wie „nach österreichischem Rechte“ kann es nicht be-
deuten, da ja nach der Grundanschauung des Verfassers der Inhalt des
österreichischen Rechts für die Normen des Völkerrechts irrelevant ist,
so daß etwas, was nach diesem Rechte verfassungswidrig, nach Völkerrecht
verfassungsmäßig sein kann und umgekehrt (z. B. die nicht solenne Form
des Vertragsabschlusses), Es kann aber auch nicht schlechthin: „nach
Völkerrecht“ bedeuten, denn dann wäre der Zusatz „für Oesterreich“ über-
flüssig und irreführend. Es kann also nur so vielbedeuten, daß das inter-
nationale Völkerrecht eigentlich nicht ein einheitliches Normensystem
ist, sondern daß es so viele Normensysteme gibt als es vertragschließende
Staaten geben kann, woraus folgt, daß man eigentlich von einem inter-
nationalen Rechte für Oesterreich (d. h. für den österreichischen Staat),
einen solchen für das Deutsche Reich, für Frankreich usf. sprechen müßte.
Es ist nun sehr die Frage, ob dem Verfasser diese Konsequenz seiner Kon-
struktion angenehm wäre. Nichtsdestoweniger ist sie folgerichtig und zieht
eine zweite nach sich: von einer einheitlichen über den einzelnen Staaten
resp. ihren BRechtsordnungen stehenden Völkerrechtsordnung kann dann
füglich nicht mehr die Rede sein.
Es ist nun keine Frage, daß „Gewohnheiten“ rechtslogisch ohne wei-
teres als „rechtserheblich“ aufgefaßt werden können. Dies gilt für alle
Normensysteme, also auch für das Völkerrecht. Die normative Methode
stellt jedoch eine unabweisliche Bedingung: es muß eine Norm sein,
welche die betreffenden Gewohnheiten für erheblich erklärt Ohne diese
Norm kann es zwar „Gewohnheiten“ geben, aber keine normative Erkennt-
nis derselben. Und nur dann, wenn diese Norm (die im extremsten Falle
den einzigen Inhalt des Normen„systems“ bilden kann) als Rechtsnorm
aufzufassen ist, sind die betreffenden Gewohnheiten Rechtsgewohnheiten
und ihr Inbegriff beruht (falls die Norm eine Völkerrechtsnorm ist) Völker-
recht. Dies scheint mir klar und unwiderleglich zu sein. Man kann
doch nicht alle in normativer Form auftretenden Gewohnheiten im inter-
nationalen Verkehre (z. B. daß die Gesandten bei gewissen Anlässen sich
so oder anders benehmen sollen, etwa kondolieren, gratulieren, große
Gala anlegen usf. sollen) für Bestandteile der internationalen Rechts-
ordnung ansehen! Wo ist nun jene logisch unentbehrliche, die internatio-
nalen Rechts gewohnheiten sanktionierende Völkerrechtsnorm? Der
Verfasser zeigt sie nicht auf und bemüht sich auch nicht, sie aufzuzeigen.