Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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Es muß daher m. E. KELSEN beigestimmt werden, wenn er in seiner Be- 
sprechung des PıTamicschen Buches dessen Methode als „völlige Denatu- 
rierung juristischer Erkenntnis“ bezeichnet (Oesterr. Zeitschrift für öffent- 
liches Recht, II. Jahrgang, S. 258). Und wie soll es möglich sein, nach 
der Pıramicschen Konstruktion die eigentlichen Völkerrec htsnormen 
von anderen z. B. bloß gesellschaftlichen, kommerziellen und ähnl. inter- 
nationalen Normen zu unterscheiden ? Auch darauf gibt der Verfasser keine 
befriedigende Antwort. 
Es ist daher wohl naheliegend, die erwähnten Mängel auf die rechts- 
logische Unhaltbarkeit des konstruktiven Ausgangspunktes zurückzuführen. 
Hier kann sich der Referent, um nicht bereits Gesagtes zu wiederholen, 
auf seine Erörterungen über die VERDROSSsche Konstruktion des Völker- 
rechtes berufen (siehe S. 236 ff. des XXXIV. Bandes dieser Zeitschrift): Wenn 
man zu einer klaren Umgrenzung des Begriffes Recht, Rechtsnorm, Rechts- 
ordnung (im Gegensatze zur Moralnornı, gesellschaftlichen Norm usf. resp. 
ihren Systemen) gelangen will — und dies ist zur Fixierung des eigent- 
lichen Gegenstandes der Recht s wissenschaft unumgänglich notwendig —, 
so muß man die Gleichung akzeptieren: Recht = Staatsrecht, Rechtsnorm 
— Staatsrechtsnorm, Rechtsordnung = Staatsrechtsordnung. Daraus folgt 
aber, daß das Völkerrecht kein selbständiges Normensystem ist (soweit 
seine Normen als Rechtsnormen aufgefaßt werden sollen), sondern ein 
Bestandteil der innerstaatlichen Rechtsordnungen ist resp. sein kann 
(vgl. hiezu meine Ausführungen in dem zitierten Aufsatze). Ist es aber 
ein solcher, dann gibt es in der Tat so viele „Völkerrechte“ als es 
„Staatsrechte“ gibt. Völkerrechtsnormen wären danach etwa jene Staats- 
rechtsnormen, welche die Verträge von Staaten (als juristischen Personen) 
untereinander regeln. Der Inhalt dieser Verträge selbst ist aber nur dann 
Bestandteil der Rechtsordnungen, wenn er in der Forın konstitutio- 
neller Gesetze erscheint. Diese Folgerung ergibt sich aus dem kon- 
stitutionellen Prinzipe selbst, falls dasselbe — wie hier geschehen ist — 
zum Ausgangspunkte der juristischen Konstruktion gemacht wird. Denn 
da es zweifellos Rechtssubjekte sind, welche Staatsverträge 
schließen (d. h. die einzelnen Staaten, die hiebei keineswegs als Träger 
ihrer Rechtsordnungen erscheinen), so gilt hier die Analogie: So wie nicht 
der Inhalt sämtlicher tatsächlich abgeschlossener Miet-, Leih-, Pacht- usw. 
Verträge als geltendes „bürgerliches Recht“ aufgefaßt werden, sondern das 
„über“ denselben stehende Bürgerliche Gesetzbuch, so kann auch der In- 
halt der tatsächlich abgeschlossenen und in Geltung stehenden Staatsver- 
träge nicht Inbegriff des „Völkerrechts“ sein, sondern nur die betreffenden 
Verfassungsgesetze, welche jene Verträge regeln resp. denselben juristische 
Relevanz verleihen. 
Nur die hier vertretene Konstruktion hält schließlich eine derzeit unum- 
gänglich notwendige Voraussetzung jeglicher juristischer Erkenntnis aufrecht:
	        
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