Full text: Archiv für öffentliches Recht. Band 35 (35)

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4a. ein Mündel, der unter elterlicher Gewalt steht, erhält 
einen Vormund, indem der Richter irrig annimmt, daß die Gewalt 
beider Eltern ruht, oder daß die Eltern weder in den die Person 
noch in den das Vermögen betreffenden Angelegenheiten zur Ver- 
tretung des Mündels berechtigt sind ($ 1773 BGB.). — 
Der Irrtum im Denken und folglich im Entschluß hat seinen 
Grund ın der Tatsache, daß der Mensch und darum auch der Rich- 
ter nicht allwissend ist. Er kann seinen Grund außerdem in der 
bewußten, auf die Erregung des Irrtums abzielenden Tätigkeit 
eines Dritten, in einer Täuschung haben ; man nennt dann die irrige 
Verfügung erschlichen °%. 
Ein hierher gehöriger Fall ist der, daß der Richter durch 
eine gefälschte Geburtsurkunde über das Alter des Nichtvor- 
mundschaftsbedürftigen von einem, der kraft Gesetzes zur Vor- 
mundschaft berufen wäre, oder durch einen gefälschten Ent- 
mündigungsbeschluß zur Vornahme der Bestellung veranlaßt 
wird ©. 
Genau wie das Privatrecht dem arglistig erregten Irrtum eine 
stärkere Wirkung beilegt als dem einfachen Irrtum ($$ 119, 123 
BGB.), hat wenigstens in einigen Fällen auch das öffentliche 
Recht den erschlichenen Staatsakt anders behandelt als den irrigen 
schlechthin °°. 
Der Richter, der richtig denkt, braucht deshalb noch nicht 
den richtigen Erfolgswillen zu haben. Er kann absichtlich das 
6 Ueber die erschlichene Verfügung vgl. KuTtTner, Nebenwirkungen 
S. 203, 204. 
65 Nicht ungerechtfertigt, d. h. gesetzlich, wäre die Bestellung dann, 
wenn die Vormundschaft auf Grund einer irrtümlich ergangenen Entmün- 
digung eingerichtet worden wäre. Denn das Gesetz im $ 1896 macht zur 
Voraussetzung die Entmündigung schlechthin, und fordert nicht etwa eine 
fehlerlose: HELLwIG, Grenzen der Rückw. (1907), S. 50. Wird der die 
Entmündigung aussprechende Beschluß aufgehoben, so ist auch die Bestel- 
lung als nun nicht mehr gerechtfertigt, zurückzunehmen. Ganz anders in 
dem bier erüuchten Falle, wo eine Entmündigung überhaupt nicht erfolgt 
war. 
66 Näheres bei JELLINEK S. 41 und KUTTNER a. a. O. S. 203, 204, 216.
	        
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