— 402 —
Zweites Hauptstück: Das Problem: Ist die verfahrensgemäße,
aber materiell ungerechtfertigte Bestellung eines Vormundes
für einen Nichtvormundschaftsbedürftigen absolut unwirksam
oder verbindlich?, und seine Lösung.
8 6.
Das Problemin seiner allgemeinen Bedeutung.
„In dem Idealbilde des Staats müßte der Satz des englischen
Staatsrechtes: The king can do no wrong zu der unfehlbaren
Wahrheit sich ausdehnen, daß der Staat nicht Unrecht tun kön-
ne“®, Gewiß soll und darf der Staat nicht dem Unrecht zum
Siege verhelfen, und das Gesetz sitzt auch dem Richter als ein
eiserner Hemmschuh im Nacken. Aber soll darum die
sachlich unrichtige staatliche Handlung nicht mehr
als ein Ausfluß des staatlichen Willens gelten?
Wohin ein solcher „nur mehr naturrechtlicher Doktrinarısmus“
führen würde, sagt besser als ein Beispiel dieser Satz WALTER
JELLINEKs‘®: „Bei einer solchen Auffassung wären nicht nur die
verschiedenen Staatsorgane untereinander befugt, ihre Tätigkeit
gegenseitig zu überprüfen, sondern vor allem wäre der den Staats-
organen unterworfene Untertan Richter über seine eigenen
Richter.“
Für die von der freiwilligen Gerichtsbarkeit erlassenen Ver-
fügungen nun fehlt es an allgemeinen Vorschriften darüber, in
welchen Fällen die unter Verletzung materiellrechtlicher Vor-
schriften erlassenen Verfügungen wirksam oder nichtig sein sol-
len”. Den Grund dieser Unvollständigkeit des Gesetzes mag man
%® (4. JELLINEK, System der subjektiven öffentlichen Rechte. 2. Aufl.
(1905) S. 242.
© W. JELLINER $. 104.
ıı JosEr in ZZP. Bd. 30, S. 104 ff, 109; EnDEMANnN, Lehrbuch des
Bürgerlichen Rechts, II. Bd. 2. Abteil. (8./9. Aufl. 1908) S. 789.